Wie sich Island eine neue Verfassung gibt

[greulix]

Hallo zusammen,
hier mal ein Beitrag über die Ausarbeitung der neuen isländischen Verfassung. Das ist wirkliche Basisdemokratie!
Schöne Grüße,
greulix

http://www.wienerzeitung.at/default.asp ... cob=530138

Volk schreibt sich Verfassung selbst
Island setzt bei neuem Grundgesetz auf Basisdemokratie.

Reykjavik/Wien. (is/apa) Island setzt bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung auf totale Basisdemokratie. Nicht Vertreter von Parteien oder Sozialpartner sollen das aus dem Jahr 1944 stammende Grundgesetz neu schreiben, sondern einfache Staatsbürger.
Mittlerweile steht die Liste jener Personen fest, die dem Verfassungskonvent angehören. Es sind 15 Männer und zehn Frauen – darunter ein Schriftsteller und ein ehemaliger Nachrichtenmoderator. Die 25 hatten sich bei der allgemeinen Wahl zum Verfassungskonvent am Samstag gegen 230 weitere Bewerber aus dem Volk durchgesetzt. Inhaber politischer Ämter waren von der Kandidatur ausgeschlossen. Die Wahlbeteiligung lag bei 40 Prozent.

In den Händen der 25 Isländer liegt nun die Zukunft des Landes: Bis spätestens April sollen diese den Verfassungstext ausarbeiten, über den dann das Parlament abstimmen wird. Ministerpräsidentin Johanna Sigurdardottir stellte in Aussicht, anschließend auch eine Volksabstimmung abzuhalten.

Mitte Februar wird der Konvent erstmals zusammentreffen. Als Grundlage für den Verfassungsentwurf dient eine Liste von Vorschlägen, die im Rahmen einer Bürgerversammlung beschlossen wurden. Dazu zählt der Schutz sowie die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen. Unter dem Eindruck des Bankencrashs, der die Insel schwer getroffen und in eine immer noch andauernde politische und wirtschaftliche Krise gestürzt hat, wünschen sich die Bürger, dass Kontrolle und Transparenz von politischen Entscheidungen durch die Verfassung garantiert werden sollen. Ebenso auf der Wunschliste steht das gleiche Recht aller Bürger auf Arbeit, Bildung und Pensionen sowie die Förderung kultureller Vielfalt.

[greenland]

hat doch schon eine, irgendwie?!

[kaeltezone]

hat doch schon eine, irgendwie?!

Das ist richtig. Als Island 1944 von Dänemark unabhängig wurde, wurde die dänische Verfassung weitgehend übernommen.
Jetzt soll es eine neue Verfassung geben.

Gruß Stefan

[Sæmundur]

Diese Aussage erscheint mir doch zu sehr verkürzt. Die Verfassung der Republik Island (Stjórnarskrá lýðveldisins Íslands) aus dem Jahr 1944 beruht weitgehend auf der Verfassung des isländischen Königreichs (Stjórnarskrá konungsríkisins Íslands) aus dem Jahr 1920. Darin wurden im Vergleich zur ältesten Verfassung (Stjórnarskrá um hin sérstaklegu málefni Íslands), die König Christian IX. zur Tausendjahrfeier 1874 nach Island mitgebracht hatte, tiefgreifende Änderungen der politischen Ordnung festgeschrieben. Andererseits erfuhr auch das Grundgesetz Dänemarks u. a. 1915, 1920 und 1953 einige zum Teil erhebliche Änderungen. Nach meinem Verständnis nahmen die Verfassungen Islands und Dänemarks ab 1874 zunehmend unterschiedliche Entwicklungen.

[kaeltezone]

Diese Aussage erscheint mir doch zu sehr verkürzt.

@Sæmundur: Da gebe ich Dir recht und Danke für Deine Ausführungen.
Muss auch gestehen, dass ich während des beantwortens, arge Zweifel hatte, ob es greenland um die Frage geht oder um das Verbreiten von Casino-Werbung .

Gruß Stefan

[Sæmundur]

O weh, das merke ich erst jetzt. Der Zweifel ist sehr berechtigt!

[BEH]

Der Zeitungsbericht ist leider nicht aktuell und nicht in Allem richtig. Die Wahl zur verfassungsgebenden Versammlung wurde wegen Verfahrensfehler vom isländischen Obersten Gericht für ungültig erklärt. Die 25 gewählten Personen wurden auch nach ihrem Bekanntheitsgrad gewählt und parteipolitisches Kalkül ist bei dieser Wahl nicht ganz außenvor gewesen. Wie es weitergeht, steht noch in den Sternen. Zunächst war klar, dass man erneut wählen müsse, und die Regierungschefin schlug vor, dass diese Neuwahl zusammen mit dem Volksentscheid über das Icesave-Gesetz abgehalten würde, das der Präsident jetzt zum zweiten Mal nach Nachverhandlungen mit den Holländern und Britten nicht unterschrieben hat. Es gibt Kritik an diesem Vetorecht des repräsentaiven Staatsoberhauptes, welches die parlamentarische Demokratie untergrabe. Man möchte also die Klausel des Vetorechtes in einer neuen Verfassung geändert sehen. Viele sind sich jedoch darüber einig, das die Naturressourcen als Nationlaeigentum in der neuen Verfassung verankert werden sollten. Jetzt sitzt man in der Klemme, und die Ministerpräsitentin schlug heute vor, die unrechtmäßigen gewählten 25 als Mitglieder eines Verfassungsrats durch das Parlament zu ernennen. Das wird nicht so einfach gehen und es gibt schon Kritik an diesem Vorschlag aus den eigenen Reihen. Heute erschien in Fréttablaðið das Ergebnis einer Umfrage, nach der eine Mehrheit dem jetzige Icesave-Gesetz zur Regelung der britischen und holländischen Forderungen zustimmen würden. Eine Ablehnung würde ein unsicheres gerichtliches Nachspiel haben und würde Islands schlechte Situation auf internationalen Finanzmärkten noch hinauszögern. Kein Verständnis hat man jedoch für Drohgebären der Holländer und Briten, die die EU-Verhandlungen zu blockieren drohen.

[MartinB]

Hat die (gefühlte / ermittelte) Mehrheit der Isländer/innen denn überhaupt noch Interesse an ernsthaften Verhandlungen zum EU Beitritt?

[Sæmundur]

Wenn man dem Eurobarometer Glauben schenkt, hat der Anteil der Befürworter eines EU-Beitritts von Mai bis November 2010 stark zugenommen. Die Frage "Wäre eine EU-Mitgliedschaft allgemein gut, schlecht oder weder gut noch schlecht?" wurde im November 2010 von 28 Prozent der befragten Isländer (gegenüber 19 Prozent im Mai 2010) mit "gut" beantwortet, von 34 Prozent (zuvor 45 Prozent) mit "schlecht", von 30 Prozent mit "weder gut noch schlecht" und von 8 Prozent mit "weiß nicht".

Quelle: Standard Eurobarometer 74, Untersuchung November 2010, nationaler Bericht Island und Präsentation

[BEH]

Bisher hat noch keine so richtig aufklärende Diskussion zum EU-Beitritt stattgefunden. Man sieht in dem EWR-Vertrag bisher so etwas wie einen goldenen Mittelweg, denn man ist dabei und genießt gewisse Vorteile und hat doch Freiheiten gegenüber der Brüsselbürokratie. Im Abwägen spielt die Angst vor dem Verlust von Freiheiten, Verlust der nationalen Autarkheit und der Verlust des Bestimmungsrechts über die Naturresourcen eine große Rolle. Wenn bei den jetzigen Verhandlungen ein überzeugendes Ergebnis hinsichtlich dieer Punkte feststeht, so wird die Meinung der Bevölkerung deutlicher dastehen. Die Diskussion um Icesave hat bisher andere Diskussionen in den Hintergrund treten lassen. Am 9. April soll jetzt über die Sache abgestimmt werden und vieles deutet darauf hin, dass man dem jetzigen Vertrag zustimmt.