Also, was tue ich eigentlich hier ?
Das is genau die Frage, die sich vor mir vorstellt, als ich trübselig und allein ein Stücken Käse, vom Rucksack ausgefischt, kaue, in einer Art leeren, kalten, feuchten, schmutzigen Holzhütte mit zerbrochenen Scheiben, 200 Meter von der nicht asfaltierten Strasse zwischen Búðir und Olafsvík entfernt, mitten im Snæfellsnes, an diesem 30. Mai 1974 morgens.
Man hatte mich doch genug gewarnt : das Klima in Island ist schrecklich, es wird viel mehr Regen und Wind, vielleicht auch Schnee geben, als Sonne und Wärme. Das wusste ich doch. Und was habe ich mitgenommen, um mich vom isländischen Regen zu beschützen ? Einen kleinen K-Way, der nicht 5 Minuten, sogar unter einem normalen, französischem Regen leistet. Ein richtiger Idiot bin ich ja.
Kauend schaue ich mich um : Steine, Steine und Regen. Kein Fahrzeug in Sicht (ich versuche, trampend nach Olafsvík anzukommen). Wie wäre es möglich, nicht an diesem Satz aus « Pêcheur d'Islande », von Pierre Loti, zu denken : « Des pierres, des pierres, rien que des pierres. Un triste pays, va, Gaud, je t'assure » (Steine, Steine und nichts anders als Steine. Ein trauriges Land, ja Gaud, das kann ich dir versichern).
Hier muss es aber ein kurzer Flashback geben.
In 1973 hatte ich nach Afghanistan und zurück gereist, alles auf Landweg : das war meine erste grosse Alleinreise, und eine richtige Erfahrung. Billig hatte es gewesen (ca. 4,50 US$ pro Tag, Durchschnitt). Als ich zurückkam, fehlte mir ein neues Ziel. Die Karte Europas hing auf meiner Wand zu Hause, und oben links konnte man diesen gelben, mitten im Blauen, fast leeren Fleck, beobachten : « Island ». Die nächste Reise würde also nach Island.
Für Island würden 4,50$ pro Tag nicht reichen, das hatte ich rasch verstanden. Also hatte ich 6 Monate in Mulhouse Bahnhof-Post gearbeitet : die Züge und Lastwagen mit Postsäcken ein- un auszuladen, ein ziemlich körperlicher Job also. Überstunden konnte man tun, also hatte ich Überstunden getan, manchmal standen die Wochen aus 60 Stunden... Ich hatte auch um Island gelesen, und etwas Ausrüstung gekauft : Zelt, Schlafsack, gute Lederschuhe, Karten, Bussole (GPS gab es dann noch nicht !) usw... und diesen lächerlichen K-Way. Dann hatte ich schon Hveravallir und die « heisse Quellen » auf der Karte erkundet : dorthin würde ich natürlich zu Fuss ankommen. Sechs Wochen hatte ich gedacht, in Island allgemein zu wandern.
Um ein wenig zu tränieren, war ich an einem schönen Morgen mit aller meiner Ausrüstung auf den Wegen Elsass für 2 Tage aufgebrochen – ca 50 Km zu Fuss. Doch schien mir der Rucksack beim Weggehen nicht anständig schwer (ich wusste, dass ich in Island auch noch mein Lebensmittel für mehrere Tage mitnehmen musste) – also hatte ich noch einen dicken Altgriechiesch-französiches Wörterbuch hinzugefügt. So hat das Wörterbuch auch 2 Tage durch Süd-Elsass spaziert, was hat es davon gedacht, das habe ich nie gewusst (wenige Leute in Süd-Elsass reden altgriechiesch, genau wie in Island). Übrigens war es doch nicht so klug, die Dichte eines griechischen Wörterbuchs ist tatsächlich nicht sehr hoch, und es wäre viel einfacher gewesen, einige Steine in den Sack einzuhäufen).
Am 17. Mai war es also los. Von Mulhouse nach Calais hatte ich getrampt. Ein Kerl (Handelsvertreter, bequemer Wagen) hatte mir gefragt, wohin die Absicht war :
- Nach Island, durch England und Schottland.
- Island ??? In Island habe ich doch eine Bekannte ! Sie heisst Dominique, und arbeitet als Sekräterin in der französischem Botschaft in Reykjavik !
Er gibt mir seine Karte und bittet mir, Dominique von ihm zu grüssen !
- Sie kennt Island ziemlich gut, sie kannt dir auch Ratschläge geben.
Vielen Dank ! Dass hatte ich mir gar nich vorgestellt. Aber solchem einem Zufall ist es kaum zu glauben. Natürlich werde ich Dominique angrüssen. Sie ist mir schon sehr sympathisch im Voraus.
Ferry-Boat von Calais bis Dover, dann auf dem Zug : ich hatte einen 7-Tage Wochenpass in Frankreich vorgekauft, so kann ich irgendohin ins Königreich Grossbritannien fahren, ohne etwas zu bezahlen. Direkt nach Schottland : Edinburgh, die Insel Skye, usw.
Am 27. Mai fliege ich endlich von Glasgow-Abbotsinch nach Reykjavik. Ich bin dann 18 ½ Jahre alt, und es ist das erste mal, dass ich in einen Flugzeug eintrete. Bisher hatte ich immer gedacht : wenn es irgendwohin ein Landweg gibt, warum sollte ich doch fliegen ? Aber nach Island gibt es keiner Landweg, und mit dem Schiff war es etwas kompliziert. Also, danke dem Boeing-727 von Icelandair, brauche ich nur 2 Stunden (und 400 FF – mit 25% Jugendermässigung) nach Keflavik, und dazu gibt es noch ein Coca (« no charge for soft drinks, no charge ! » und das Lächeln der isländischen Stewardess. Jetzt weiss ich schon, wofür ich mich 6 Monate lang wie ein Hund erschöpft habe.
Isländische und amerikanische Fahnen, im Licht und Wind des Nordens wehend, grüssen mir auf dem Rollbahn Keflaviks. Das ist eine neue Welt ! Und auch etwas kühl. Manche Leute sind in Transit nach New York, die anderen, wie ich, sind angekommen.
Im halbleerem Bus nach Reykjavik bemerke ich einen Kerl, der mit Rucksack und Pickeln reist : der weisst ja genau, was er in Island tun wird. Aber ich mache Bekannschaft zu einem anderen, ein Deutscher, der im Gegenteil scheint, nichts besonderes planiert haben, reist ohne Zelt, ohne Jugendherbergekarte, und wahrscheinlich mit wenigem Geld : heute abends wird er irgendwo « draussen » schlafen !
Ich ziehe also zu der Jugendherberge. Das Mädel am Kontor, ein hübsches Käfer, trägt nur Hosen, Bluse (nichts unten) und Leinenschuhe. Hinter ihr hängt eine riesige Karte Islands an der Wand. Schotter, Deutscher, Schweizer, Japaner, Amerikaner... ich bin nicht der einige Ausländer in Island an einem 27. Mai ! Eine fröhliche Anarchie-Atmosfäre herrscht herum. Dann klingt etwas bekannter an meinen Ohren : Franzosen gibt es auch. Einer ist neu in Island, will ein Film in einer isländischen Familie drehen. Der andere, rothaarig, mit Bart und Fischerdraht als Schnürsenkel, hat letzten Winter auf einem kleinem Fischerboot gearbeitet, ist etwas enttäuscht : er hatte auf 10.000 FF Lohn erwartet, hat ja nur 2.000 gekriegt, die Saison war schlecht. Was wird nach Island geben ? « Wahrscheinlich Patagonien » (ich glaube nicht, dass er es im Scherz sagt). Und was sind meine Pläne ? Island zu Fuss durchqueren, sage ich schüchtern. Sie schütteln den Kopf : unmöglich, es gibt keine Strassen, keine Dörfer, sondern Schnee- und Sandstürme, die Wildbäche sind in Anschwillen... Sie zeigen mir schon keine Interesse mehr.
Im Zimmer gibt es ein Amerikaner, es ist schon 10 Uhr abends und noch hell, ich frage ihm :
- At what time does the sun set down by now ?
Und er antwortet mit Grabesstimme :
- It doesn't.
(was doch etwas übertrieben ist).
Am nächstem Tag bin im Tourist Information, und stelle wieder meine Pläne vor : Kjölur, Hveravallir. Ist es möglich ? Selbstverständlich ist das möglich, wenn man genug Lebensmittel mitbringt. Nur nicht jetzt. Es ist zu früh, die Bächer sind hoch. Letztes Jahr, « a young gentleman from India » hat es versucht, nur hat er sich auf dem Weg verloren, und recht auf dem Langjökull gelandet. Also nicht jetzt. Vielleicht etwas später. Das erinnert mir komisch an asiatischen Beamten, die jeden Quatsch erzählen werden, um den Kunden zu befriedigen, ohne irgendeine Verwantwortung zu übernehmen.
Also Richtung Französische Botschaft, Dominique, hier bin ich ! Tatsächlich ist sie sympathisch, nimmt auf ihrer Zeit, um mir auf der Karte zu zeigen, was interessantes gibt. Als sie hört, dass ich ihren Bekannten durch Auto-stop getroffen habe, leitet sie aus, dass ich die ganze Zeit in dieser Art reise, und ermutigt mich : du wirdst selbst sehen, es ist leicht, in Island zu trampen. Das hatte ich früher gar nicht gedacht, ich hatte mir vorgestellet, mit Bus und dann zu Fuss... Aber warum nicht ?
Was ist das nächste interessantes Ort ? Vielleicht Snæfellsness, Dominique hat gesagt, es wäre wunderschön (und darüber hat ja Jules Verne erzählt !) Der Plan ist so geworden : erst in den Westfjorden, bis Isafjördur, und im Norden zu trampen und wandern, vielleicht werden mittlerweile die Bächer etwas freundlicher (???), dann dem Kjölur wieder anzugehen.
8 Km zu Fuss, um aus Reykjavik zu kommen (schon wieder etwas Tränierung), und dann Daumen hoch ! Am gleichen Abend erreiche ich ruhig Borgarnes, also 150 Km, kleine Etappen, verschiedene Fahrer : ein anständiger Vater mit seinen zwei Tochtern, trinkt « Maltextrakt » weil er mit der anderen Hand steuert ; zwei Burschen in einem amerikanischen Wagen, trinken ein Gemisch Coca/Whisky ; ein Bauer, der um 1950 in Paris gewesen ist ; ein Lastwagenfahrer is seinem nagelneuem Fahrzeug, spricht kein Englisch, aber entlässt mich mit einem grossem Lächeln vor dem Borgarnes Hotell. Danke schön, ich gehe weiter, suche mich ein Ort, um die Zelt aufzubauen. Schöne Gebirge mit Schnee im Hintergrund, ein freundlicher isländischer rotbrauner Poney als Geselle, viele seltsame Vögel : erste Nacht im Freien in Island.
Am nächsten Morgen fallen schon die ersten Regentropfen, und es wird nur schlimmer und schlimmer. Ich trampe bis Búðir : von dem wunderschönem Snæfellsnesjökull ist nichts zu sehen, ist im Nebel eingehüllt. Sehr wenige Fahrzeuge, und jetzt ein böses Regen, ich bin schon nass, wie ein Lachs im Fjord : lieber gehen, als unter Regen und mitten in Bergen und Steinwüste zu frieren. Verdammter K-Way ! Bis Olafsvík ist es doch möglich, zu Fuss anzukommen, auf diesem schlechtem Weg durch der Halbinsel... Aber da weiter steht eine Hütte... ein bisschen Stutz...
Was tue ich hier ?
Weil ich meine Käse kaue, kann ich 4 Fahrzeuge, Richtung Olafsvík, beobachten ! Aber die Strasse ist 200 Meter entfernt, meine Sachen sind ausgepackt... nichts zu tun. Wieder einpacken, und im Regen zur Strasse zurück...
1 Km vor der Küstekreuzung, Fahrzeug in Sicht ! Daumen hoch, der Fahrer hält, nach 12 Km zu Fuss im Regen werde ich mitgenommen.
Es sieht aus, als Island mit mir etwas Spass machen wollte. Haha, der kleine Franzose, will allein ins Hochland, erst werden wir ihm ein bisschen zeigen, wie Island wirklich aussehen kann.
Macht nichts ! Ich zittere vor Kälte, doch trete ich nicht zurück.
(Das nächste : um Isafjördur)