Aus dem Tagebuch eines Hüttenwartes
Dienstag, 18 September 2007
Dienstag, 18 September 2007
Ich befinde mich im Tief, oder: Kerstin, die Landschulheimleiterin
Also, dieser Herbst ist ja wirklich zum Mäusemelken. Jetzt bin ich zwar gerade einmal eine Woche in der Þórsmörk, aber in dieser Zeit hat es dann auch nur geregnet. Ich kann jetzt nicht sagen, ob es daran liegt, dass ich gerade ein Jahr lang in Neuseeland verbracht habe, wo ja eigentlich nur die Sonne scheint, und ob ich folglich komplett verweichlicht bin, oder ob das Wetter wirklich so absolut beschissen ist, dass ich darüber motzen darf...
Nun ja, wie dem auch sei, es regnet und stürmt seit ich hier bin, mit gelegentlichen mehrstündigen Pausen, die man dann für alles nutzt, was man draußen noch nicht gemacht hat. Irgendwie habe ich auch gar keine Lust mehr, die Wettervorhersage anzuhören. Ich besitze als einziges Medium ja nur ein Radio, und dieses empfängt bloß Rás 2, einen eher konservativen Sender, der entweder sehr isländische Diskussionen sendet oder aber klassische oder sonstige Einschlafmusik bringt. Dort werden viermal am Tag Wetternachrichten verlesen, und auch abends, wenn man übers Radio den Fernsehnachrichten zuhören kann, bekommt man ein Wetterupdate. Allerdings ist es eher etwas verwirrend, dem Fernsehwetterbericht zu folgen, denn da wird dann immer nur gesagt: "... und von hier zieht dann das Tief ein, welches sich hier und hier und auch hier abregnen wird, wogegen es hier trocken bleibt, südlich davon dafür etwas windiger..." Immerhin kann man sich da aussuchen, welches Hier wohl auf seinen Standpunkt zutreffen mag!
Aber egal welchen Wetternachrichten man zuhört, gesagt wird immer nur dasselbe. Hier ein Ausschnitt des täglichen Wetterberichtes.
"Unwetterwarnung: im Hochland darf mit Sturm und extremen Niederschlägen gerechnet werden. Südisland, Aussichten bis 18 Uhr: Südostwind mit 15-20m/s. Nieselregen bis Regen.
Aussichten für das ganze Land für die kommenden Tage: Morgen Nacht wird der Regen in größten Teilen des Landes etwas nachlassen, allerdings rückt am Mittwoch von Westen her ein weiteres Tief heran. Mittwoch und Donnerstag wird es in meisten Teilen des Landes regnen. In der Nacht auf Freitag wird der Regen etwas nachlassen, aber nur, um am Wochenende dem nächsten Tief Platz zu machen, das uns auch bis Mitte nächster Woche viel Niederschlag bringen wird..."
Kann man da nicht verstehen, dass man dem Wetterbericht eigentlich am liebsten nicht mehr zuhören möchte und dies eigentlich nur tut, weil man sehnlichst auf gute Nachrichten wartet...?
Einen täglichen Lichtblick gibt es wetterunabhängig aber zum Glück immer! Broddi, welcher hier den Sommer über als Hüttenwart stationiert war, hat zwei junge Polarfüchse aufgezogen. Die beiden sind nun schätzungsweise dreieinhalb Monate alt und leben unter dem Holzgerüst meiner Hütte. Sie sind Fremden gegenüber recht scheu, aber nichts desto trotz äußerst liebenswert! Wie zwei kleine Hundewelpen tollen sie manchmal ums Haus und sind, wie ich schon sagte, einfach nur putzig anzuschauen! Es geschieht ja nun auch wirklich nicht oft, dass man Polarfüchse so nah zu Gesicht bekommt! Da mir niemand die Namen der beiden sagen kann, musste ich kreativ werden. Die hellgraue Füchsin ist eher schüchtern vom Charakter, aber wenn sie einmal Vertrauen fasst, dann ist sie ganz behutsam im Umgang mit Menschen. Irgendwie ergab es sich so, dass ich sie Sæla nannte, "Freude" oder "Heiterkeit". Ihr Bruder, ein großer, dunkelbrauner Frechdachs, ist so tollpatschig und ungestüm, dass er seinen Namen sofort weghatte: Kjáni nannte ich ihn, was soviel wie "Dummkopf" oder eben "Tollpatsch" bedeutet. Er stolpert ganz gerne über seine eigenen Pfoten und findet ihm hingeworfene Dinge generell erst beim dritten Anlauf - ich finde, der Name passt!
Da ich keine Ahnung hatte, hier zwei Füchse durchfüttern zu müssen, gebe ich ihnen alles, was so anfällt. Sie bevorzugen natürlich Fleisch, verschmähen aber auch Brot, Früchte und Gemüse nicht, ebenso wenig wie Nudeln oder Milchprodukte. Mittlerweile haben sie sich an mich und das fuchsuntypische Essen gewöhnt, erkennen mich, kommen wenn ich sie rufe und fressen mir inzwischen sogar aus der Hand. Allerdings muss man da bei Kjáni etwas aufpassen: er hält Finger für Würstchen und beißt richtig feste zu, dieser kleine Mistkerl...
Aber zurück zum schlechten Wetter. Etwas Gutes hat der ständige Regen dann doch: ich brauche mich nicht darüber zu ärgern, keine Zeit für Ausflüge zu haben, denn bei dem Regen will eh niemand vor die Tür. Außerdem habe ich nun wirklich genug mit den Schulklassen zu tun, die sich hier beinahe täglich abwechseln. Die Kinder sind im absolut schlimmsten Alter: 14-16 Jahre sind sie alt, pubertierende, naturfremde Kids aus Reykjavík, die eigentlich überhaupt gar keine Lust haben, zwei Tage abseits jeden Handykontaktes in einer Berghütte zu verbringen. Von Sauberkeit haben sie noch nie etwas gehört, Mülltonnen werden generell ignoriert, und es scheint nichts Spannenderes für sie zu geben, als ihre Namen oder blöde Bemerkungen mit wasserfesten Stiften auf allen nur erdenklichen Holzflächen zurückzulassen... Es ist wirklich eine reine Katastrophe. Nachdem ich mir das Verhalten der ersten Klasse stillschweigend angesehen habe, beschloss ich, nun etwas deutsche Zucht und Ordnung in deren Aufenthalt einfließen zu lassen, um einen Supergau zu verhindern.
Ich muss zugeben, dass es schon Überwindung kostet, sich vor eine randalierende Großgruppe pubertierender Möchtegernsuperstars zu stellen und ihnen auf Isländisch die Leviten zu lesen. Zumal ich ja nun bekanntlich Deutsche bin und nach meinem einjährigen Aufenthalt in Neuseeland noch nicht zu meiner ehemaligen Beherrschung der isländischen Sprache zurückgefunden habe. Aber die mir von Gísli nahegelegte Methode von mehreren Versammlungen und strikter Regeleinhaltung hat Früchte getragen. Wenn die 40-70 Kids in ihren Bussen ankommen, fange ich sie zuerst ab und nenne ein paar Grundregeln sowie die Tatsache, dass eine halbe Stunde später ein Treffen im Südsaal stattfinden wird. Auf diesem mache ich dann deutlich, dass es die Kinder sind, welche die Hütte hinterher putzen müssen, und dass Kaugummis in den Mülleimer gehören, nicht auf Böden oder unter Tische. Süßigkeiten und Softdrinks sind aufgrund sehr schlechter Erfahrungen ab sofort in den Schlafsälen verboten, und da ich mittlerweile weiß, welche Kritzeleien wo zu finden sind, kann ich hinterher auch die Verursacher von Edding-Schmierereien ausfindig machen und zum Putzen verdonnern.
Bin ich nicht eine herrlich schrecklich strenge Landschulheimleiterin geworden?
Nun, so schlimm ist es hoffentlich dann doch nicht; Verbote taugen bekanntlich nur dann, wenn den Kids deutlich gemacht wird, warum sie aufgestellt wurden. Ich bitte sie, zu kooperieren, legen ihnen die Gründe dar, und die Belohnung ist die Tatsache, dass sie umso weniger putzen müssen, je weniger Dreck sie machen. Und zu meinem großen Erstaunen hilft diese Art der Erziehung tatsächlich: seit ich mit meinen Vorträgen angefangen habe, putze ich täglich nur noch zwei bis drei Stunden, nicht fünf. Und die Lehrer machen bisher auch recht enthusiastisch mit - vielleicht sind sie sogar ganz froh, dass ihnen mal einer das Aufstellen von Regeln abnimmt, wer weiß...
Ich befinde mich im Tief, oder: Kerstin, die Landschulheimleiterin
Also, dieser Herbst ist ja wirklich zum Mäusemelken. Jetzt bin ich zwar gerade einmal eine Woche in der Þórsmörk, aber in dieser Zeit hat es dann auch nur geregnet. Ich kann jetzt nicht sagen, ob es daran liegt, dass ich gerade ein Jahr lang in Neuseeland verbracht habe, wo ja eigentlich nur die Sonne scheint, und ob ich folglich komplett verweichlicht bin, oder ob das Wetter wirklich so absolut beschissen ist, dass ich darüber motzen darf...
Nun ja, wie dem auch sei, es regnet und stürmt seit ich hier bin, mit gelegentlichen mehrstündigen Pausen, die man dann für alles nutzt, was man draußen noch nicht gemacht hat. Irgendwie habe ich auch gar keine Lust mehr, die Wettervorhersage anzuhören. Ich besitze als einziges Medium ja nur ein Radio, und dieses empfängt bloß Rás 2, einen eher konservativen Sender, der entweder sehr isländische Diskussionen sendet oder aber klassische oder sonstige Einschlafmusik bringt. Dort werden viermal am Tag Wetternachrichten verlesen, und auch abends, wenn man übers Radio den Fernsehnachrichten zuhören kann, bekommt man ein Wetterupdate. Allerdings ist es eher etwas verwirrend, dem Fernsehwetterbericht zu folgen, denn da wird dann immer nur gesagt: "... und von hier zieht dann das Tief ein, welches sich hier und hier und auch hier abregnen wird, wogegen es hier trocken bleibt, südlich davon dafür etwas windiger..." Immerhin kann man sich da aussuchen, welches Hier wohl auf seinen Standpunkt zutreffen mag!
Aber egal welchen Wetternachrichten man zuhört, gesagt wird immer nur dasselbe. Hier ein Ausschnitt des täglichen Wetterberichtes.
"Unwetterwarnung: im Hochland darf mit Sturm und extremen Niederschlägen gerechnet werden. Südisland, Aussichten bis 18 Uhr: Südostwind mit 15-20m/s. Nieselregen bis Regen.
Aussichten für das ganze Land für die kommenden Tage: Morgen Nacht wird der Regen in größten Teilen des Landes etwas nachlassen, allerdings rückt am Mittwoch von Westen her ein weiteres Tief heran. Mittwoch und Donnerstag wird es in meisten Teilen des Landes regnen. In der Nacht auf Freitag wird der Regen etwas nachlassen, aber nur, um am Wochenende dem nächsten Tief Platz zu machen, das uns auch bis Mitte nächster Woche viel Niederschlag bringen wird..."
Kann man da nicht verstehen, dass man dem Wetterbericht eigentlich am liebsten nicht mehr zuhören möchte und dies eigentlich nur tut, weil man sehnlichst auf gute Nachrichten wartet...?
Einen täglichen Lichtblick gibt es wetterunabhängig aber zum Glück immer! Broddi, welcher hier den Sommer über als Hüttenwart stationiert war, hat zwei junge Polarfüchse aufgezogen. Die beiden sind nun schätzungsweise dreieinhalb Monate alt und leben unter dem Holzgerüst meiner Hütte. Sie sind Fremden gegenüber recht scheu, aber nichts desto trotz äußerst liebenswert! Wie zwei kleine Hundewelpen tollen sie manchmal ums Haus und sind, wie ich schon sagte, einfach nur putzig anzuschauen! Es geschieht ja nun auch wirklich nicht oft, dass man Polarfüchse so nah zu Gesicht bekommt! Da mir niemand die Namen der beiden sagen kann, musste ich kreativ werden. Die hellgraue Füchsin ist eher schüchtern vom Charakter, aber wenn sie einmal Vertrauen fasst, dann ist sie ganz behutsam im Umgang mit Menschen. Irgendwie ergab es sich so, dass ich sie Sæla nannte, "Freude" oder "Heiterkeit". Ihr Bruder, ein großer, dunkelbrauner Frechdachs, ist so tollpatschig und ungestüm, dass er seinen Namen sofort weghatte: Kjáni nannte ich ihn, was soviel wie "Dummkopf" oder eben "Tollpatsch" bedeutet. Er stolpert ganz gerne über seine eigenen Pfoten und findet ihm hingeworfene Dinge generell erst beim dritten Anlauf - ich finde, der Name passt!
Da ich keine Ahnung hatte, hier zwei Füchse durchfüttern zu müssen, gebe ich ihnen alles, was so anfällt. Sie bevorzugen natürlich Fleisch, verschmähen aber auch Brot, Früchte und Gemüse nicht, ebenso wenig wie Nudeln oder Milchprodukte. Mittlerweile haben sie sich an mich und das fuchsuntypische Essen gewöhnt, erkennen mich, kommen wenn ich sie rufe und fressen mir inzwischen sogar aus der Hand. Allerdings muss man da bei Kjáni etwas aufpassen: er hält Finger für Würstchen und beißt richtig feste zu, dieser kleine Mistkerl...
Aber zurück zum schlechten Wetter. Etwas Gutes hat der ständige Regen dann doch: ich brauche mich nicht darüber zu ärgern, keine Zeit für Ausflüge zu haben, denn bei dem Regen will eh niemand vor die Tür. Außerdem habe ich nun wirklich genug mit den Schulklassen zu tun, die sich hier beinahe täglich abwechseln. Die Kinder sind im absolut schlimmsten Alter: 14-16 Jahre sind sie alt, pubertierende, naturfremde Kids aus Reykjavík, die eigentlich überhaupt gar keine Lust haben, zwei Tage abseits jeden Handykontaktes in einer Berghütte zu verbringen. Von Sauberkeit haben sie noch nie etwas gehört, Mülltonnen werden generell ignoriert, und es scheint nichts Spannenderes für sie zu geben, als ihre Namen oder blöde Bemerkungen mit wasserfesten Stiften auf allen nur erdenklichen Holzflächen zurückzulassen... Es ist wirklich eine reine Katastrophe. Nachdem ich mir das Verhalten der ersten Klasse stillschweigend angesehen habe, beschloss ich, nun etwas deutsche Zucht und Ordnung in deren Aufenthalt einfließen zu lassen, um einen Supergau zu verhindern.
Ich muss zugeben, dass es schon Überwindung kostet, sich vor eine randalierende Großgruppe pubertierender Möchtegernsuperstars zu stellen und ihnen auf Isländisch die Leviten zu lesen. Zumal ich ja nun bekanntlich Deutsche bin und nach meinem einjährigen Aufenthalt in Neuseeland noch nicht zu meiner ehemaligen Beherrschung der isländischen Sprache zurückgefunden habe. Aber die mir von Gísli nahegelegte Methode von mehreren Versammlungen und strikter Regeleinhaltung hat Früchte getragen. Wenn die 40-70 Kids in ihren Bussen ankommen, fange ich sie zuerst ab und nenne ein paar Grundregeln sowie die Tatsache, dass eine halbe Stunde später ein Treffen im Südsaal stattfinden wird. Auf diesem mache ich dann deutlich, dass es die Kinder sind, welche die Hütte hinterher putzen müssen, und dass Kaugummis in den Mülleimer gehören, nicht auf Böden oder unter Tische. Süßigkeiten und Softdrinks sind aufgrund sehr schlechter Erfahrungen ab sofort in den Schlafsälen verboten, und da ich mittlerweile weiß, welche Kritzeleien wo zu finden sind, kann ich hinterher auch die Verursacher von Edding-Schmierereien ausfindig machen und zum Putzen verdonnern.
Bin ich nicht eine herrlich schrecklich strenge Landschulheimleiterin geworden?
Nun, so schlimm ist es hoffentlich dann doch nicht; Verbote taugen bekanntlich nur dann, wenn den Kids deutlich gemacht wird, warum sie aufgestellt wurden. Ich bitte sie, zu kooperieren, legen ihnen die Gründe dar, und die Belohnung ist die Tatsache, dass sie umso weniger putzen müssen, je weniger Dreck sie machen. Und zu meinem großen Erstaunen hilft diese Art der Erziehung tatsächlich: seit ich mit meinen Vorträgen angefangen habe, putze ich täglich nur noch zwei bis drei Stunden, nicht fünf. Und die Lehrer machen bisher auch recht enthusiastisch mit - vielleicht sind sie sogar ganz froh, dass ihnen mal einer das Aufstellen von Regeln abnimmt, wer weiß...
Mittwoch, 19. September 2007
Mittwoch, 19. September 2007
Einmal evakuieren, bitte, oder: von der fraglichen Ehre, eine Stufe zu sein
Diese Schulklassen, die sich hier wochentags beinahe täglich abwechseln, machen dermaßen Arbeit, dass ich tagsüber eigentlich nur durch die Gegend renne, putze und Vorträge halte. Das Problem ist, dass mir so gut wie keine Zeit bleibt, die Hütte für die nächste Schulklasse fertig zu machen, da die Gruppen so unheimlich früh von Reykjavík aufbrechen und deshalb schon um die Mittagszeit hier auftauchen - einmal hatte die alte Klasse noch nicht die Hütte verlassen, als die neue schon ankam. Dazu kommt, dass ich hier ja immer ein Auge auf die Krossá halten muss, um mit meinem Traktor Notfalls zur Hilfe eilen zu können, sollte jemand bei der Überquerung Probleme haben.
Dies war heute mal wieder der Fall. Eigentlich hatte ich mir einen ruhigen Tag erhofft, da die gestern eingetroffene Réttarholtsskóli zwei Nächte bleiben wird, ich also heute eigentlich nur das Klohaus putzen musste. Aber wie das immer so ist: nichts wird so, wie man es sich denkt.
Die Réttarholtsskóli stellt die bisher größte Schulgruppe seit ich hier bin: knapp 60 Kinder, betreut von nur drei Lehrern, kamen gestern am frühen Nachmittag in nur einem Bus bei mir an. Insgesamt ist die Schule mit 120 Kids in der Þórsmörk, die anderen 60 haben sich auf Básar einquartiert, der Hütte von Útivist auf der anderen Seite der Krossá. Was ich nicht wirklich verstehe, ist die Tatsache, dass die andere Hälfte der Gruppe in zwei kleinen, hochgelegenen Bussen unterwegs ist, welche viel eher zum Furten der Krossá geeignet gewesen wären, als der riesige Bus, in dem meine Gruppe zu mir kam. Ich beobachtete die drei Busse gestern, als sie sich langsam über die Hvannáraurar zur Krossá kämpften, und hielt dann im wahrsten Sinne des Wortes die Luft an, als dieser einzige, riesige Bus sich daran machte, zu meiner Seite überzusetzen. Zu meiner Erleichterung schaffte er es über den Fluss, ohne stecken zu bleiben: der Motor heulte zwar einmal ziemlich gequält auf, aber sie kamen dann doch ohne weitere Probleme bei mir auf der Hütte an.
Nun ja, und seitdem sind sie hier: 56 Teenager der schlimmsten Sorte, begleitet von drei Lehrern, von denen zwei so jung sind, dass sie weder über Autorität noch den Willen dazu verfügten. Dazu kommt, dass die für heute geplante Wanderung wegen des schlechten Wetters abgesagt wurde, und die Kids folglich den ganzen Tag gelangweilt und voll von überschüssigen Energien um die Hütte herum lungerten. Dies erklärt dann vermutlich auch ihre Begeisterung, nur Mist zu bauen. Und das tun sie so gut, wie keine Gruppe zuvor: Müll wird absichtlich umher geschmissen, meine beiden Füchse mit Steinen beworfen, und es besteht kein Respekt gegenüber mir oder der Hütteneinrichtung. Dreimal musste ich nun schon raus in den Regen und eine Horde wildgewordener Jungwikinger anweisen, gefälligst die Ersatz-Traktorreifen zurückzurollen, die hinten am Container gelagert werden. Diese mannhohen Reifen kann man nur zu dritt bewegen, und die Kids tun das mit größter Begeisterung, um dann allerdings auf ihnen herumzuhüpfen und sie liegen zu lassen, wo auch immer sie zum Liegen kommen.
Oh man, mir werden hier noch graue Haare wachsen, wenn das so weiter geht... Ich weiß schon, warum ich kein Lehrer geworden bin!
Am heutigen Nachmittag hatten sich die beiden verschiedenen Gruppen der Schule verabredet, gemeinsam bei Básar zu grillen. Das bedeutete, dass alle meine Kids in den Bus sprangen und dieser sich daran machte, die Krossá zu furten. Und diesmal geschah, was ich gestern schon befürchtete: der Bus blieb prompt stecken, kam weder vor noch zurück. Ich eilte mit dem Traktor zu Hilfe, aber das Problem war, dass der Untergrund so sandig war, dass die Traktorreifen keinen Halt fanden und durchdrehten. In der folgenden halben Stunde wühlte ich tiefe Furchen in den weichen Sandboden und probierte alle nur erdenkliche Richtungen und Seillängen aus - aber der Bus ließ sich partout nicht von der Stelle bewegen. Also beschlossen der Busfahrer und ich, die Kinder zu evakuieren. Die Idee war, dass der Bus würde ohne Passagiere um einige Tonnen leichter sein und sich hoffentlich verrücken lassen würde.
Nun aber ist die Frage: wie leert man einen Bus, der mitten in einem Gletscherfluss steht? Das einzige, was mir einfiel, war, den hochgelegenen Anhänger, welcher sich hier an der Hütte befindet, an den Traktor zu hängen und die Kids gruppenweise an Land zu fahren. Gesagt, getan, das taten wir also. Der Busfahrer war ganz versessen darauf, den Traktor zu fahren, und ich überließ ihm dies bereitwillig, zumal seine Männerwürde auf dem Spiel zu stehen schien...
Aufgrund der Breite des Traktors konnten wir den Hänger nicht näher als eineinhalb Meter an die Tür des Busses heranfahren. Nachdem der Busfahrer anfangs begonnen hatte, die Kids huckepack zum Hänger zu tragen, beschloss ich, das ganze zu vereinfachen, und schmiss mich in den Fluss. Auf allen vieren in der Krossá kniend, bot ich mich als Stufe dar und ermöglichte den Insassen ein trockenes Übersetzen in den Traktorhänger. Nachdem ein Junge mir allerdings beinahe die Wirbelsäule gebrochen hatte, indem er mit voller Kraft auf meine hintere Rückenpartie sprang, ließ ich per Lautsprecher durchgeben, dass bitte nur meine Schultergegend betreten werden solle, und das möglichst vorsichtig. Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass ich hinterher nicht querschnittsgelähmt war, und brachten wir 56 Kinder plus drei Lehrer trockenen Fußes auf die andere Seite der Krossá.
Ob ich das allerdings noch mal machen würde, wage ich schwer zu bezweifeln. Erstens sind meine Finger jetzt immer noch nicht ganz aufgetaut, und zweitens schmerzt mein Rücken jetzt, wie ... nun ja, als sei eine ganze Horde Schulkinder drüber getrampelt!
Wie dem auch sei, der Bus war nun leer, die Kids auf dem Fußweg nach Básar, und wir versuchten es jetzt noch einmal, das Gefährt aus der Krossá zu ziehen. Und siehe da: knapp vier Tonnen leichter ließ sich der Bus beim ersten Versuch ans Ufer ziehen!
Aber, oh man, ich will gar nicht daran denken, dass die Gruppe ja heute Abend wieder zurückkommen wird! Noch einmal eine solche Aktion, und dann auch noch im Dunkeln - darauf habe ich ja nun wirklich keine Lust!
Nachtrag:
Ich hatte den Abend über Ruhe, fuhr dem Bus jedoch entgegen, als ich ihn um kurz vor Mitternacht zurückkommen sah. Diesmal machten wir kurzen Prozess und schleppten ihn kurzerhand über die Krossá, da keiner von das Bedürfnis verspürte, noch einmal eine solche Bergungsaktion zu unternehmen. Und mit der Zugkraft des Traktors brachten wir den Bus dann auch problemlos wieder zurück auf diese Seite des Flusses und konnte ich dann beruhigt schlafen gehen.
Einmal evakuieren, bitte, oder: von der fraglichen Ehre, eine Stufe zu sein
Diese Schulklassen, die sich hier wochentags beinahe täglich abwechseln, machen dermaßen Arbeit, dass ich tagsüber eigentlich nur durch die Gegend renne, putze und Vorträge halte. Das Problem ist, dass mir so gut wie keine Zeit bleibt, die Hütte für die nächste Schulklasse fertig zu machen, da die Gruppen so unheimlich früh von Reykjavík aufbrechen und deshalb schon um die Mittagszeit hier auftauchen - einmal hatte die alte Klasse noch nicht die Hütte verlassen, als die neue schon ankam. Dazu kommt, dass ich hier ja immer ein Auge auf die Krossá halten muss, um mit meinem Traktor Notfalls zur Hilfe eilen zu können, sollte jemand bei der Überquerung Probleme haben.
Dies war heute mal wieder der Fall. Eigentlich hatte ich mir einen ruhigen Tag erhofft, da die gestern eingetroffene Réttarholtsskóli zwei Nächte bleiben wird, ich also heute eigentlich nur das Klohaus putzen musste. Aber wie das immer so ist: nichts wird so, wie man es sich denkt.
Die Réttarholtsskóli stellt die bisher größte Schulgruppe seit ich hier bin: knapp 60 Kinder, betreut von nur drei Lehrern, kamen gestern am frühen Nachmittag in nur einem Bus bei mir an. Insgesamt ist die Schule mit 120 Kids in der Þórsmörk, die anderen 60 haben sich auf Básar einquartiert, der Hütte von Útivist auf der anderen Seite der Krossá. Was ich nicht wirklich verstehe, ist die Tatsache, dass die andere Hälfte der Gruppe in zwei kleinen, hochgelegenen Bussen unterwegs ist, welche viel eher zum Furten der Krossá geeignet gewesen wären, als der riesige Bus, in dem meine Gruppe zu mir kam. Ich beobachtete die drei Busse gestern, als sie sich langsam über die Hvannáraurar zur Krossá kämpften, und hielt dann im wahrsten Sinne des Wortes die Luft an, als dieser einzige, riesige Bus sich daran machte, zu meiner Seite überzusetzen. Zu meiner Erleichterung schaffte er es über den Fluss, ohne stecken zu bleiben: der Motor heulte zwar einmal ziemlich gequält auf, aber sie kamen dann doch ohne weitere Probleme bei mir auf der Hütte an.
Nun ja, und seitdem sind sie hier: 56 Teenager der schlimmsten Sorte, begleitet von drei Lehrern, von denen zwei so jung sind, dass sie weder über Autorität noch den Willen dazu verfügten. Dazu kommt, dass die für heute geplante Wanderung wegen des schlechten Wetters abgesagt wurde, und die Kids folglich den ganzen Tag gelangweilt und voll von überschüssigen Energien um die Hütte herum lungerten. Dies erklärt dann vermutlich auch ihre Begeisterung, nur Mist zu bauen. Und das tun sie so gut, wie keine Gruppe zuvor: Müll wird absichtlich umher geschmissen, meine beiden Füchse mit Steinen beworfen, und es besteht kein Respekt gegenüber mir oder der Hütteneinrichtung. Dreimal musste ich nun schon raus in den Regen und eine Horde wildgewordener Jungwikinger anweisen, gefälligst die Ersatz-Traktorreifen zurückzurollen, die hinten am Container gelagert werden. Diese mannhohen Reifen kann man nur zu dritt bewegen, und die Kids tun das mit größter Begeisterung, um dann allerdings auf ihnen herumzuhüpfen und sie liegen zu lassen, wo auch immer sie zum Liegen kommen.
Oh man, mir werden hier noch graue Haare wachsen, wenn das so weiter geht... Ich weiß schon, warum ich kein Lehrer geworden bin!
Am heutigen Nachmittag hatten sich die beiden verschiedenen Gruppen der Schule verabredet, gemeinsam bei Básar zu grillen. Das bedeutete, dass alle meine Kids in den Bus sprangen und dieser sich daran machte, die Krossá zu furten. Und diesmal geschah, was ich gestern schon befürchtete: der Bus blieb prompt stecken, kam weder vor noch zurück. Ich eilte mit dem Traktor zu Hilfe, aber das Problem war, dass der Untergrund so sandig war, dass die Traktorreifen keinen Halt fanden und durchdrehten. In der folgenden halben Stunde wühlte ich tiefe Furchen in den weichen Sandboden und probierte alle nur erdenkliche Richtungen und Seillängen aus - aber der Bus ließ sich partout nicht von der Stelle bewegen. Also beschlossen der Busfahrer und ich, die Kinder zu evakuieren. Die Idee war, dass der Bus würde ohne Passagiere um einige Tonnen leichter sein und sich hoffentlich verrücken lassen würde.
Nun aber ist die Frage: wie leert man einen Bus, der mitten in einem Gletscherfluss steht? Das einzige, was mir einfiel, war, den hochgelegenen Anhänger, welcher sich hier an der Hütte befindet, an den Traktor zu hängen und die Kids gruppenweise an Land zu fahren. Gesagt, getan, das taten wir also. Der Busfahrer war ganz versessen darauf, den Traktor zu fahren, und ich überließ ihm dies bereitwillig, zumal seine Männerwürde auf dem Spiel zu stehen schien...
Aufgrund der Breite des Traktors konnten wir den Hänger nicht näher als eineinhalb Meter an die Tür des Busses heranfahren. Nachdem der Busfahrer anfangs begonnen hatte, die Kids huckepack zum Hänger zu tragen, beschloss ich, das ganze zu vereinfachen, und schmiss mich in den Fluss. Auf allen vieren in der Krossá kniend, bot ich mich als Stufe dar und ermöglichte den Insassen ein trockenes Übersetzen in den Traktorhänger. Nachdem ein Junge mir allerdings beinahe die Wirbelsäule gebrochen hatte, indem er mit voller Kraft auf meine hintere Rückenpartie sprang, ließ ich per Lautsprecher durchgeben, dass bitte nur meine Schultergegend betreten werden solle, und das möglichst vorsichtig. Auf diese Weise wurde sichergestellt, dass ich hinterher nicht querschnittsgelähmt war, und brachten wir 56 Kinder plus drei Lehrer trockenen Fußes auf die andere Seite der Krossá.
Ob ich das allerdings noch mal machen würde, wage ich schwer zu bezweifeln. Erstens sind meine Finger jetzt immer noch nicht ganz aufgetaut, und zweitens schmerzt mein Rücken jetzt, wie ... nun ja, als sei eine ganze Horde Schulkinder drüber getrampelt!
Wie dem auch sei, der Bus war nun leer, die Kids auf dem Fußweg nach Básar, und wir versuchten es jetzt noch einmal, das Gefährt aus der Krossá zu ziehen. Und siehe da: knapp vier Tonnen leichter ließ sich der Bus beim ersten Versuch ans Ufer ziehen!
Aber, oh man, ich will gar nicht daran denken, dass die Gruppe ja heute Abend wieder zurückkommen wird! Noch einmal eine solche Aktion, und dann auch noch im Dunkeln - darauf habe ich ja nun wirklich keine Lust!
Nachtrag:
Ich hatte den Abend über Ruhe, fuhr dem Bus jedoch entgegen, als ich ihn um kurz vor Mitternacht zurückkommen sah. Diesmal machten wir kurzen Prozess und schleppten ihn kurzerhand über die Krossá, da keiner von das Bedürfnis verspürte, noch einmal eine solche Bergungsaktion zu unternehmen. Und mit der Zugkraft des Traktors brachten wir den Bus dann auch problemlos wieder zurück auf diese Seite des Flusses und konnte ich dann beruhigt schlafen gehen.
Oh Mann (äh Frau) - die lieben Krakar - da hast Du was mitgemacht. Da weiß man doch so ganz normale, doofe Touris wieder richtig zu schätzen.
Mach weiter, Du versüßt mir den Tag
Dieter
Kein Wunder, daß der ungeduldig war. Der wußte was ihn erwartet und wollte sich so schnell wie möglich in Sicherheit bringenIn Langidalur wartete schon mein Vorgänger auf mich. Gísli, ein pensionierter Lehrer, war wie alle anderen davon ausgegangen, dass ich schon vor zwei Tagen erscheinen würde. Dementsprechend ungeduldig war er dann auch, sich vom Acker zu machen.
Mach weiter, Du versüßt mir den Tag
Dieter
http://www.isafold.de
Wanderungen über das Hochland Islands
Wanderungen über das Hochland Islands
Donnerstag, 20. September 2007
Donnerstag, 20. September 2007
Der Unglücksbus, oder: von 56 Kids, die garantiert nie wieder in die Þórsmörk kommen wollen
Nachdem die Réttarholtsskóli nun zwei Tage in der Skagfjörðsskáli gelebt hatte, war heute der Tag der Abreise gekommen. Wie üblich setzte ich die Regel, bis 10 Uhr alles Gepäck in die Busse verladen zu haben und sich dann zu einem Treffen im Südsaal einzufinden. Dort teilte ich Putzgruppen ein, und mehr oder weniger begeistert machten sich die Kids dann daran, die Hütte grob zu säubern. Als dies eine Stunde später geschafft war, rannten die Jugendlichen so schnell wie irgend möglich in den Bus - ein Zeichen, dass ich eine ganz hervorragend grauenvolle Landschulheimleiterin hergeben muss!
Nach den Problemen der letzten Tage war klar, dass ich den Bus im Schlepptau über die Krossá nehmen würde. Es ist mir ein Rätsel, wieso solche Busse überhaupt hierher geschickt werden. Ein Bus für 60 Personen ist einfach zu groß, zu lang und zu schwer für die schlechten Wege der Þórsmörk, von den Flussüberquerungen einmal ganz abgesehen!
Nun, ich zog den schweren Bus also nach eingehender Diskussion mit dem Busfahrer am Abschleppseil durch das breite Flusstal, doch trotz aller Planung und Probefahren mit dem Traktor blieb der Bus mitten in der Krossá stecken. Erst dachte ich mir nichts dabei, fuhr zurück und wollte den Bus mit einem heftigen Ruck wieder in Bewegung versetzen. Es tat sich jedoch nichts. Und als ich mich umsah, bemerkte ich, dass der Bus Schräglage angenommen hatte.
Was nun geschah, darf man sich folgendermaßen vorstellen. Der Bus stand mitten im Fluss, und zwar quer zur Strömung im eigentlich gar nicht so tiefen Wasser. Steckengeblieben war er, weil der Untergrund so sandig war und die Reifen schlichtweg abgesackt waren. Und genau das, so harmlos es sich anhört, ist der Alptraum eines jeden Busfahrers hier in der Þórsmörk. Die starke Strömung beginnt dann nämlich sofort damit, die Reifen zu untergraben und bewirkt, dass sich das Gefährt gegen die Fließrichtung auf die Seite zu neigen beginnt.
Im Falle dieses Busses aber war die Situation ein klein wenig anders. Das Gefährt war mit minimaler Schräglage zum Stehen gekommen; und zwar stellte sich der Unterboden ein klein wenig gegen den Strom. Dies, so wenig ersichtlich es im ersten Moment war, hatte zur Folge, dass der Bus in die andere Richtung zu kippen begann: es wurden die stromabwärts stehenden Reifen untergraben parallel dazu gegen den stromaufwärts gerichteten Unterboden gedrückt. Das Resultat war, dass man dem Bus dabei zusehen konnte, wie er sich langsam aber sicher auf die Seite legte.
Ich muss zugeben, dass ich den Ernst der Situation erst gar nicht richtig erkannte. Ich meine, wer rechnet denn schon damit, dass ein Bus sich im Fluss einfach hinlegt?!?
Ich versuchte ein paar Male, den Bus nach Vorne herauszuziehen. Erst, als der Fahrer schreiend ins Wasser sprang und mir gesten- und wortreich zu verstehen gab, dass ich gefälligst am anderen Ende ziehen solle, wechselte ich schnell den Haken und zerrte nun am Heck des Busses herum. Vergeblich. Der Untergrund war so sandig, dass auch die großen Reifen meines Traktors durchdrehten und ich mich nicht von der Stelle bewegte – und das, obwohl dieses Monstergefährt Vorder- und Hinterradantrieb besitzt und ich die Reifen auch blockieren kann.
Der Bus hatte unterdessen eine solche Schräglage angenommen, dass die Evakuierung der Kids in Angriff genommen worden war. Diesmal hatten wir keine Zeit, um den Hänger zu holen. Die Lehrer scheuchten die 60 Teenager durch die Fahrertür aus dem kippenden Bus, von wo aus sie ein paar Meter durch das knietiefe Eiswasser ans Ufer wateten. Meine Rettungsversuche trugen dank des sandigen Untergrundes wenig Früchte, zumal wegen der ganzen Schalterei die Elektronik verrückt spielte und die ich halbautomatische Gangschaltung andauernd re-setten musste.
Währenddessen waren die beiden Busse aus Básar gekommen, luden ihre Passagiere aus und eilten uns zur Hilfe. Der kippende Bus schien sich endlich etwas zu stabilisieren, seit ich in Gegenrichtung an ihm herumzerrte, und so gelang es den Männern auch, zwei Abschleppseile am untergrabenen rechten Vorderende zu befestigen. Dann ging es eigentlich relativ schnell: der höhergelegene der Rettungsbusse wurde zusammen mit dem Traktor vor den Bus gespannt, und zusammen zogen wir, was die Motoren hergaben. Erst drehten alle Reifen wieder durch, doch zu zweit schafften wir es schließlich, den Bus erst wieder in die Waagerechte zu befördern und dann aus dem Fluss zu ziehen.
Halleluja!
Den Schwung ausnutzend, fuhren wir durch den zweiten Flussarm bis ans Ufer, wobei der Rettungsbus den Weg benutzte und ich meinen armen Traktor so schnell es ging über den Steilhang abseits des Pfades steuerte. Dort allerdings hatten zu meinem großen Verdruss etwa 30 Kids Wurzeln geschlagen und machten den Eindruck, als glaubten sie sich im Kino, nicht etwa in der Realität. Sie schienen nicht zu begreifen, dass ich, die ich geradewegs auf sie zufuhr, nicht stoppen konnte, solange die anderen Busse fuhren - schließlich war ich über das Abschleppseil mit ihnen verbunden. Und da auch die Hupe nicht funktioniert, brüllte und fuchtelte ich in meiner Fahrerkabine in italienisch anmutenden Ausmaßen so lange, bis die Teenies endlich die Flucht antraten. Fünf von ihnen brachte ich dennoch zu Fall, da diese Tölpel zwischen mir und den Bussen Zuflucht suchten und ihnen das Abschleppseil die Beine unter dem Hintern wegriss. Da sie aber lachend ziemlich schnell wieder in die Senkrechte zurückfanden, kann das ganze nicht so schlimm gewesen sein...
Als die Busse endlich stoppten, konnte auch ich meine Geschwindigkeit drosseln und mir den Bus anschauen. Da stand er, tropfte unablässig aus den Gepäckräumen (der rechte Laderaum muss komplett geflutet gewesen sein), und wir alle waren nur erleichtert, dass wir dieses Unglücksgefährt auf allen vier Reifen aus der Krossá ziehen konnten. Es ist eine Schande, dass man in solchen Momenten keine Zeit hat, um Fotos zu machen! Die Bilder des kippenden Busses und der panisch in den Fluss flüchtenden Teenager wären sicherlich eindrucksvoll gewesen!
Fazit dieser Aktion: man versuche niemals, in zu großen Bussen die Krossá zu furten, erst recht nicht, wenn diese keinen Vierradantrieb haben!
Und: Hüttenwart in Langidalur zu sein ist der mit Abstand ereignisreichste Job meines Lebens!
Der berühmte blaue Traktor in Langidalur: dass dieses Gefährt Busse aus Flüssen ziehen kann, dürfte bei den Größenverhältnissen niemanden verwundern!
Der Unglücksbus, oder: von 56 Kids, die garantiert nie wieder in die Þórsmörk kommen wollen
Nachdem die Réttarholtsskóli nun zwei Tage in der Skagfjörðsskáli gelebt hatte, war heute der Tag der Abreise gekommen. Wie üblich setzte ich die Regel, bis 10 Uhr alles Gepäck in die Busse verladen zu haben und sich dann zu einem Treffen im Südsaal einzufinden. Dort teilte ich Putzgruppen ein, und mehr oder weniger begeistert machten sich die Kids dann daran, die Hütte grob zu säubern. Als dies eine Stunde später geschafft war, rannten die Jugendlichen so schnell wie irgend möglich in den Bus - ein Zeichen, dass ich eine ganz hervorragend grauenvolle Landschulheimleiterin hergeben muss!
Nach den Problemen der letzten Tage war klar, dass ich den Bus im Schlepptau über die Krossá nehmen würde. Es ist mir ein Rätsel, wieso solche Busse überhaupt hierher geschickt werden. Ein Bus für 60 Personen ist einfach zu groß, zu lang und zu schwer für die schlechten Wege der Þórsmörk, von den Flussüberquerungen einmal ganz abgesehen!
Nun, ich zog den schweren Bus also nach eingehender Diskussion mit dem Busfahrer am Abschleppseil durch das breite Flusstal, doch trotz aller Planung und Probefahren mit dem Traktor blieb der Bus mitten in der Krossá stecken. Erst dachte ich mir nichts dabei, fuhr zurück und wollte den Bus mit einem heftigen Ruck wieder in Bewegung versetzen. Es tat sich jedoch nichts. Und als ich mich umsah, bemerkte ich, dass der Bus Schräglage angenommen hatte.
Was nun geschah, darf man sich folgendermaßen vorstellen. Der Bus stand mitten im Fluss, und zwar quer zur Strömung im eigentlich gar nicht so tiefen Wasser. Steckengeblieben war er, weil der Untergrund so sandig war und die Reifen schlichtweg abgesackt waren. Und genau das, so harmlos es sich anhört, ist der Alptraum eines jeden Busfahrers hier in der Þórsmörk. Die starke Strömung beginnt dann nämlich sofort damit, die Reifen zu untergraben und bewirkt, dass sich das Gefährt gegen die Fließrichtung auf die Seite zu neigen beginnt.
Im Falle dieses Busses aber war die Situation ein klein wenig anders. Das Gefährt war mit minimaler Schräglage zum Stehen gekommen; und zwar stellte sich der Unterboden ein klein wenig gegen den Strom. Dies, so wenig ersichtlich es im ersten Moment war, hatte zur Folge, dass der Bus in die andere Richtung zu kippen begann: es wurden die stromabwärts stehenden Reifen untergraben parallel dazu gegen den stromaufwärts gerichteten Unterboden gedrückt. Das Resultat war, dass man dem Bus dabei zusehen konnte, wie er sich langsam aber sicher auf die Seite legte.
Ich muss zugeben, dass ich den Ernst der Situation erst gar nicht richtig erkannte. Ich meine, wer rechnet denn schon damit, dass ein Bus sich im Fluss einfach hinlegt?!?
Ich versuchte ein paar Male, den Bus nach Vorne herauszuziehen. Erst, als der Fahrer schreiend ins Wasser sprang und mir gesten- und wortreich zu verstehen gab, dass ich gefälligst am anderen Ende ziehen solle, wechselte ich schnell den Haken und zerrte nun am Heck des Busses herum. Vergeblich. Der Untergrund war so sandig, dass auch die großen Reifen meines Traktors durchdrehten und ich mich nicht von der Stelle bewegte – und das, obwohl dieses Monstergefährt Vorder- und Hinterradantrieb besitzt und ich die Reifen auch blockieren kann.
Der Bus hatte unterdessen eine solche Schräglage angenommen, dass die Evakuierung der Kids in Angriff genommen worden war. Diesmal hatten wir keine Zeit, um den Hänger zu holen. Die Lehrer scheuchten die 60 Teenager durch die Fahrertür aus dem kippenden Bus, von wo aus sie ein paar Meter durch das knietiefe Eiswasser ans Ufer wateten. Meine Rettungsversuche trugen dank des sandigen Untergrundes wenig Früchte, zumal wegen der ganzen Schalterei die Elektronik verrückt spielte und die ich halbautomatische Gangschaltung andauernd re-setten musste.
Währenddessen waren die beiden Busse aus Básar gekommen, luden ihre Passagiere aus und eilten uns zur Hilfe. Der kippende Bus schien sich endlich etwas zu stabilisieren, seit ich in Gegenrichtung an ihm herumzerrte, und so gelang es den Männern auch, zwei Abschleppseile am untergrabenen rechten Vorderende zu befestigen. Dann ging es eigentlich relativ schnell: der höhergelegene der Rettungsbusse wurde zusammen mit dem Traktor vor den Bus gespannt, und zusammen zogen wir, was die Motoren hergaben. Erst drehten alle Reifen wieder durch, doch zu zweit schafften wir es schließlich, den Bus erst wieder in die Waagerechte zu befördern und dann aus dem Fluss zu ziehen.
Halleluja!
Den Schwung ausnutzend, fuhren wir durch den zweiten Flussarm bis ans Ufer, wobei der Rettungsbus den Weg benutzte und ich meinen armen Traktor so schnell es ging über den Steilhang abseits des Pfades steuerte. Dort allerdings hatten zu meinem großen Verdruss etwa 30 Kids Wurzeln geschlagen und machten den Eindruck, als glaubten sie sich im Kino, nicht etwa in der Realität. Sie schienen nicht zu begreifen, dass ich, die ich geradewegs auf sie zufuhr, nicht stoppen konnte, solange die anderen Busse fuhren - schließlich war ich über das Abschleppseil mit ihnen verbunden. Und da auch die Hupe nicht funktioniert, brüllte und fuchtelte ich in meiner Fahrerkabine in italienisch anmutenden Ausmaßen so lange, bis die Teenies endlich die Flucht antraten. Fünf von ihnen brachte ich dennoch zu Fall, da diese Tölpel zwischen mir und den Bussen Zuflucht suchten und ihnen das Abschleppseil die Beine unter dem Hintern wegriss. Da sie aber lachend ziemlich schnell wieder in die Senkrechte zurückfanden, kann das ganze nicht so schlimm gewesen sein...
Als die Busse endlich stoppten, konnte auch ich meine Geschwindigkeit drosseln und mir den Bus anschauen. Da stand er, tropfte unablässig aus den Gepäckräumen (der rechte Laderaum muss komplett geflutet gewesen sein), und wir alle waren nur erleichtert, dass wir dieses Unglücksgefährt auf allen vier Reifen aus der Krossá ziehen konnten. Es ist eine Schande, dass man in solchen Momenten keine Zeit hat, um Fotos zu machen! Die Bilder des kippenden Busses und der panisch in den Fluss flüchtenden Teenager wären sicherlich eindrucksvoll gewesen!
Fazit dieser Aktion: man versuche niemals, in zu großen Bussen die Krossá zu furten, erst recht nicht, wenn diese keinen Vierradantrieb haben!
Und: Hüttenwart in Langidalur zu sein ist der mit Abstand ereignisreichste Job meines Lebens!
Der berühmte blaue Traktor in Langidalur: dass dieses Gefährt Busse aus Flüssen ziehen kann, dürfte bei den Größenverhältnissen niemanden verwundern!
Zuletzt geändert von Kerstin am Di 20. Nov 2007, 20:15, insgesamt 1-mal geändert.
Das tönt ja abenteuerlich! Wenn man auf youtube nach Stichwörtern wie "4x4", "iceland" etc. sucht, findet man einige Filme mit in der Krossà abgesoffenen oder im Schnee steckengebliebenen Fahrzeugen. Zu Kerstins Bericht passt besonders gut
http://www.youtube.com/watch?v=P94rcZSuTT8
(Damit auch alle mal den Trecker gesehen haben )
http://www.youtube.com/watch?v=P94rcZSuTT8
(Damit auch alle mal den Trecker gesehen haben )
Donnerstag, 27.September 2007
Donnerstag, 27.September 2007
Von tiefen Flüssen, Traktoren und Trockenfisch, oder: es kommt doch immer anders, als man denkt
Ich blicke auf einen Tag zurück, wie er isländischer nicht hätte sein können: komplett anders, als erwartet, und wesentlich komplizierter, als gedacht.
Es begann damit, dass ich mitten in der Nacht aufwachte. Mein kleines Hüttenwarthäuschen wackelte, als habe ein Riese dagegen getreten, der Sturm draußen brummte und pfiff, der Regen prasselte gegen das Wellblechdach und auf die großen Glasfenster. Ich dachte mir nicht viel dabei, drehte mich wieder im Bett herum und schlief wieder ein - unruhig, aber dennoch ungestört, bis um acht Uhr der Wecker klingelte.
Am Sturm draußen hatte sich nichts gelegt, im Gegenteil, es war sogar noch windiger geworden. Ich beschloss, das Aufstehen noch eine halbe Stunde nach hinten zu verschieben, da bei dem Sturm keine Flagge gehisst werden musste und die anwesende Seljaskóli garantiert auch keine Lust hatte, schon früh unterwegs zu sein.
Dem war auch so. Der Morgen begann ruhig, keiner wollte bei dem Regen vor die Tür, und auch ich schob alle Pflichten vor mich her, da es ja sowieso ein ruhiger Tag werden sollte. Die Gruppe würde noch eine Nacht dableiben, ich würde nur die Toiletten putzen müssen, und das am besten, wenn alle auf Wanderschaft waren. Dass sie das in dem Regen tatsächlich taten, wies sie als echte Isländer aus: um die Mittagszeit brach die ganze große Gruppe zum Tindfjallahringur auf, einer fünfstündig veranschlagten Wanderung in der Þórsmörk. Es regnete immer noch, aber der Wind hatte etwas nachgelassen, und so war auch alles in bester Ordnung. Ich fegte einmal grob die Hütte, putzte die Toiletten, legte eine Schubkarre über den Stromgenerator (um ihn grob vor Wasser zu schützen), und verbarrikadierte die Deckel der Mülltonnen mit schweren Steinen - eine weise Tat, wie ich hinterher feststellen sollte. Der Sturm kehrte nämlich zurück; in etwa mit der Rückkehr der 80-köpfigen Gruppe nahmen Wind und Regen wieder zu. Beim verspäteten Mittagessen kam ich aus dem Beantworten von Anrufen kaum hinaus: zuerst mussten Hüttenwartnews zwischen uns Þórsmörk-Hütten ausgetauscht werden („Bist du schon gefurtet? Wie schlimm war es? Haste Gäste heute Nacht? Fährst du irgendwann bald mal einkaufen?“), und dann rief mich ein gewisser Otto an, Vater einer gewissen Nanna. Dieser wollte seine Tochter eigentlich verfrüht von der Klassenfahrt abholen und erkundigte sich bei mir nach der Wassertiefe der Flüsse. Die Krossá hatte ziemlich zugenommen, und ich bot ihm an, seine Tochter mit dem Traktor auch bis über die Steinholtsá zu bringen, welche als zweitschwierigster Fluss hier in der Þórsmörk gilt. Ich will an dieser Stelle noch einmal erwähnen, dass die Flüsse von den letzten Gehöften an nicht mehr überbrückt sind und man letzten 20 Kilometer in die Þórsmörk hinein nur in vierradgetriebenen, hochgelegenen Autos überwinden kann. Dabei ist der Erfolg dieser Touren ganz extrem von der Bauart des Gefährtes, der Erfahrung des Fahrers und natürlich den Wetterbedingungen abhängig.
Nun, ich verabredete mich also mit Otto für kurz nach 17 Uhr an der Steinholtsá, suchte Nanna, wies sie an, ihre Sachen eine Dreiviertelstunde früher bereitstehen zu haben, und machte mich dann daran, die Hütte vor der drohenden Sinnflut zu retten. Der Regen hatte stark zugenommen und wurde vom Sturmwind senkrecht gegen Fenster und Wände gedrückt, so dass es überall zu tropfen begann. Tücher wurden unter Fensterrahmen gestopft, Schüsseln auf den Böden verteilt - so lange, bis mir das ganze zu extrem wurde. Hätte ich mich in einem normalen Haus befunden, hätte ich einen Wasserrohrbruch vermutet. Nun gab es aber in besagter Decke keine Wasserleitung - allerdings ein leerstehendes Zimmer obendrüber. Und als ich vor der Tür stand und versuchte, den passenden Schlüssel an meinem Schlüsselbund zu finden, machte mir der Windzug im Flur schon klar, was geschehen sein musste. Und tatsächlich: der Wind hatte es irgendwie geschafft, das Fenster halb aus seiner Verankerung zu reißen - ich muss vergessen haben, es gänzlich zu schließen. Es stand also sperrangelweit offen, der Wind peitschte den Regen durch den Raum, der Boden war geflutet. Kein Wunder, dass es untendrunter tropfte! Also Wischmopp und Tücher geholt, das Fenster notdürftig geschlossen und repariert, den Boden getrocknet, und alle angewiesen, einen Auge auf besagtes Fenster zu werfen solange ich fort sein würde.
Dann war es soweit. Ich musste Nanna antreiben, sich nun bitte endlich in Richtung es Traktors zu bewegen, und dann, um halb fünf, ging es schließlich los. Nannas zwei Reisetaschen hinter dem Sitz des Traktors verstaut, das zierliche Mädchen aus Reykjavík auf den unbequemen und engen kleinen Sitz über der Handbremse verbannt, und los ging es.
Der Traktor, mein einziges Fortbewegungsmittel in der Þórsmörk, ist ein hellblaues Monster mit knapp 160PS und Hinterreifen, die bei voll aufgepumpten Zustand etwa 170cm Durchmesser erreichen. Man sitzt darin höher als in einem Bus, und das Gefährt mit seinen 7 Tonnen Leergewicht lässt sich so leicht von nichts und niemandem umschieben - das perfekte Fahrzeug also, um Flüsse zu furten und Autos oder andere Gefährte aus selbigen herauszuziehen. Nur ist es ein Traktor - er ist folglich weder schnell noch bequem, und mehr als eine Person hat neben dem Fahrer bei aller Liebe keinen Platz.
Die Krossá, gestern nur ein kleiner, etwa 15m breiter Fluss von einem halben Meter Wassertiefe, war durch den durchgehenden Regen nun auf dreifache Größe angeschwollen. Dennoch kamen wir problemlos hindurch; sie hatte sich in mehrere Arme aufgespalten, von denen keiner tiefer als einen Meter war. Kein Problem also für meinen Trecker!
Langsam tuckerten wir weiter; jeder kleine Bach hatte sich in einen reißenden Fluss verwandelt, die Hvanná war plötzlich drei Flüsse, der Weg so uneben und schlecht, dass wir in Schritttempo dahin schaukelten. Die Stakkholtsá war auch angeschwollen, aber kein Problem, die Scheibenwischer surrten über die Frontscheibe, Nanna und ich hatten genug zu quatschen - unsere Laune war ganz wunderbar!
Bis, ja, bis wir zur Steinholtsá kamen.
Ich konnte meinen Augen nicht trauen, als wir vor einem reißenden Fluss standen, über hundert Meter breit, tiefbraun, mit hohen Wellen, die in einem abartigen Tempo ein viel zu hohes Gefälle hinabrasten. Was war aus dem zehn Meter breiten Bach geworden, der hier eine Woche zuvor noch gewesen war? Wo kam all das Wasser her? Ich war sprachlos.
Nanna hatte, wie wohl die meisten fünfzehnjährigen Mädchen an ihrer Stelle, zwar einen Heidenrespekt vor den Wassermassen, aber ein Gottvertrauen in den Traktor und mich. Ich beschloss, sie besser in dem Glauben zu belassen, redete mir Mut zu, und suchte eine Furt.
Es war mindestens so schlimm, wie es aussah. Obwohl ich den Fluss an der mit Abstand breitesten Stelle furtete und versuchte, die Wassermassen zu lesen, gingen wir schnurstracks auf Tauchstation. Die Vorderreifen waren komplett unter Wasser; das Wasser spritzte gegen die Glastüren, vom Motor stiegen Säulen weißen Wasserdampfes auf. Ich glaube, ich fluchte ziemlich laut und ziemlich ungezogen, schaltete runter und trat aufs Gas. Viel zu lange blieben wir viel zu tief im Wasser, der Motor gab ungesunde Geräusche von sich - und dann hatten wir es geschafft. Wir waren in "nur" noch ein Meter tiefem Wasser und hatten uns erfolgreich durch mindestens 1.5m reißenden Gletscherfluss gekämpft. In dem Moment spürte ich eine innige Liebe zu diesem unkaputtbaren, ollen Traktor und lobte ihn laut. Ich glaube, Nanna muss mich für total bescheuert gehalten haben. Sie war aber auch beeindruckt von der Wassertiefe, zumindest konnte ich das ihrem Kommentar entnehmen:
"Vá, þetta var nú svolítið djúpt", sagte sie.
Ja, das war tief gewesen. Zu tief für meinen Geschmack. Aber wir hatten es geschafft!
Der Rest des Flusses war ein Kinderspiel, wir waren schnell durch und stürzten und auf die Jökulsá, die komplett harmlos war. Und dann?
Otto und sein Jeep waren nirgendwo auszumachen. Also fuhren wir den Abstecher zur Gletscherlagune hoch - aber auch dort war er nicht.
Mir tat sich eine böse Ahnung auf. Sollte er wohlmöglich irgendwo steckengeblieben sein?
Nanna nichts davon sagend, fuhr ich weiter. Der nächste Fluss, bei gutem Wetter nicht einmal ein Wasserrinnsal, war auch wieder sehr tief. Dessen Nachbar war auch nicht von schlechten Eltern. Und immer noch kein Jeep in Sichtweite. Um kurz nach sechs sagte ich Nanna, dass ich sie nicht mehr viel weiter fahren könne, weil ich nicht wusste, wie viel Benzin ich im Tank hatte. Die Elektronik und alle Anzeigen im Traktor funktionierten nämlich auch nur sporadisch. Und ich sprach meine Vermutung aus, dass ihr Vater in einem der kleinen Bäche stecken geblieben sein müsse und vermutlich schon die Bergrettung in Hella kontaktiert hatte. Keiner von uns hatte ein Telefon dabei - ich verfluchte mich in dem Moment dafür, mir nicht eines der Lehrer ausgeliehen zu haben. Also blieb uns nur, zu warten - und das taten wir eine halbe Stunde lang.
Es wurde 18.30 Uhr, und es wurde zusehends dunkler. Der Regen ließ zwar etwas nach, ich saß allerdings mittlerweile auf wirklich auf heißen Kohlen. Ich konnte nicht weiterfahren, zum einen, weil mein Tankvorrat zur Neige ging, zum anderen, weil es dunkel wurde und ich dringend über die Steinholtsá musste, solange ich noch etwas erkennen konnte. Und gerade, als ich schon dabei war, zu verzweifeln, sahen wir eine Gestalt den Weg entlangkommen.
Ein Fußgänger!
"Þetta getur bara verið Pabba!" stöhnte Nanna, "Das kann nur mein Vater sein!"
Und genau der war es. Lustigerweise war geschehen, was ich bereits vermutet hatte: Er hatte sich in einem Bach festgefahren, sich aber selber wieder herausrangieren können, dann die Bergrettung in Hella angerufen und sie gebeten ihnen zu Hilfe zu kommen, da er wusste, dass ich mit dem Traktor nicht so weit fahren können würde. Er versicherte mir, dass die Bergrettung jeden Moment kommen würde und ich sie einfach im Regen stehen lassen solle - was ich dann tat, da das Tageslicht knapp wurde und ich wirklich Schiss davor hatte, diese verdammte Steinholtsá im Dunkeln furten zu müssen. Also verabschiedeten wir uns, Otto drückte mir als Dank für alles eine Tüte mit Lakritzschokolade und Trockenfisch in die Hand, und ich gab Gas und holte alles aus dem alten Trecker raus, was rauszuholen war.
Eine halbe Stunde später, die Regenwolken leuchteten dunkelrot, kam ich an die Steinholtsá, den tiefen Fluss. Er war in der vergangenen Stunde noch mehr angeschwollen. Diesmal ließ ich noch mehr Vorsicht bei der Wahl der Furt walten, mein Herz schlug mir aber trotzdem bis zum Hals. Dieser Fluss war der reine Wahnsinn! Niemand, aber auch nicht der dümmste Tourist, hätte sich an eine Überquerung gewagt, und ich vermute auch, dass selbst die Bergrettung mit ihren Monsterfahrzeugen kapituliert hätte. Doch ich hatte keine Wahl: ich musste zurück zur Hütte. Die einzige Alternative wäre es gewesen, die Nacht in der kalten, nassen Fahrerkabine zu verbringen - irgendwie hatte ich da keine Lust zu. Ich saß schließlich in einem der größten Traktoren des Landes, der mich bisher noch nie im Stich gelassen hatte!
Also ging ich es an. Die meiste Zeit über war das Wasser nur knapp einen Meter tief - aber die Hauptrinne des Flusses stand mir noch bevor. Als ich diese dann erreicht hatte, ging der Traktor wieder auf Tauchstation und musste ich zehn endlose Meter lang mannhohes Wasser durchqueren. Eine Wolke aus Wasserdampf stieg vom Motor auf, als er mit dem eiskalten Gletscherwasser in Berührung kam - dass dieser Traktor das mitgemacht hat, erstaunt mich immer noch! Es wird einem wirklich ganz anders, wenn man sich vor Augen hält, dass die komplett gefluteten Hinterreifen so groß sind wie einer selbst, und sich der Traktor nur deshalb nicht von der Strömung beeindrucken lässt, weil er in Bewegung und außerdem sieben Tonnen schwer ist. Die Sekunden im tiefen Wasser schienen endlos, mein Herz raste wie bei einem Schwimmwettkampf, mein Fuß drückte sich immer tiefer ins Gaspedal hinein, und ich feuerte, flehte, fluchte den Traktor an, mich gefälligst, bitte, verdammt noch einmal ans andere Ufer zu bringen!
Und das tat er. Als sich die Dampfwolken lichteten, und ich das steile Ufer erklommen hatte, ließ ich lautes Siegesgeschrei ertöten. Zur Feier des Tages brach ich den Trockenfisch an, während ich mit sage und schreibe 20 Stundenkilometern über den nicht mehr vorhandenen Weg in zunehmender Dunkelheit gen Langidalur tuckerte. Mich in diesem riesigen Traktor aus dem tiefen Fluss auftauchen zu sehen, wäre ein Bild für die Götter gewesen! Wie ich auf dem Sitz hin und her schaukelte, dabei lautstark im Takt zu den Scheibenwischern irgendwelche isländischen Schlager grölte, von gelegentlichen, adrenalinverursachten Urschreien unterbrochen - ich dürfte sämtliche anwesenden Trolle und Poltergeister in die Flucht geschlagen haben. Ich meine, mal ganz ehrlich: absurder konnte die Situation kaum mehr werden! Ich hatte gerade in einem Monstertraktor einen komplett unpassierbaren Fluss durchquert, saß nun im strömenden Regen in meiner quietschgelben Öljacke und in knallgrünen Wathosen in der tropfenden (da nicht wasserdichten) Innenkabine, stopfte Trockenfisch und Schokolakritze gleichzeitig in mich hinein und freute mich des Lebens. Ja, ich glaube, jeder anwesende Mensch hätte den Eindruck bekommen, es mit einer komplett bescheuerten Person zu tun zu haben.
Welch ein Glück, dass niemand in Sichtweite war!
Der Rest der Fahrt war ein Kinderspiel - zumindest gemessen an dem, was hinter mir lag. Die Krossá war nun, fast drei Stunden nach meiner ersten Durchquerung, noch mehr angeschwollen und erstreckte sich in fünf oder sechs Armen über die ganze Breite des langen Flussbettes. Einmal, nur kurz, wühlte ich mich doch noch einmal recht tief ins Wasser, etwa 1.30m muss der Wasserstand betragen haben, aber der Traktor brachte mich wieder anstandslos ins Trockene.
Und dann war ich, endlich, wieder auf der Heimatseite der Krossá angekommen, flitzte ins Haus, zog mir trockene Sachen an, raste hoch zur Hütte, schmiss den Generator an, und kümmerte mich dann um alle anfallenden Probleme und Anfragen meiner 80 Gäste, und das waren so einige. Und als ich dann, um etwa 21Uhr, endlich getrost alle ihren Problemen überlassen konnte (es spukte mal wieder im Klohäuschen, aber gegen Geister kann ich nun bei aller Liebe nichts unternehmen!), war erst einmal Abendessen angesagt!
Zum allgemeinen Erstaunen hatte der Regen plötzlich aufgehört und brach ein wunderschöner Abend an. Die Wolken lichteten sich und gaben Blicke auf die Sterne und den frisch abnehmenden Vollmond preis, und zu meiner großen Begeisterung auch auf mein erstes Polarlicht des Jahres! So ging ich dann noch schnell einmal den Fluss hinab, machte ein paar Fotos der grünen Lichtbögen am hellen Vollmondhimmel, und beschloss dann, dass der Tag nun zu Ende sei.
Und so war es dann auch.
Von tiefen Flüssen, Traktoren und Trockenfisch, oder: es kommt doch immer anders, als man denkt
Ich blicke auf einen Tag zurück, wie er isländischer nicht hätte sein können: komplett anders, als erwartet, und wesentlich komplizierter, als gedacht.
Es begann damit, dass ich mitten in der Nacht aufwachte. Mein kleines Hüttenwarthäuschen wackelte, als habe ein Riese dagegen getreten, der Sturm draußen brummte und pfiff, der Regen prasselte gegen das Wellblechdach und auf die großen Glasfenster. Ich dachte mir nicht viel dabei, drehte mich wieder im Bett herum und schlief wieder ein - unruhig, aber dennoch ungestört, bis um acht Uhr der Wecker klingelte.
Am Sturm draußen hatte sich nichts gelegt, im Gegenteil, es war sogar noch windiger geworden. Ich beschloss, das Aufstehen noch eine halbe Stunde nach hinten zu verschieben, da bei dem Sturm keine Flagge gehisst werden musste und die anwesende Seljaskóli garantiert auch keine Lust hatte, schon früh unterwegs zu sein.
Dem war auch so. Der Morgen begann ruhig, keiner wollte bei dem Regen vor die Tür, und auch ich schob alle Pflichten vor mich her, da es ja sowieso ein ruhiger Tag werden sollte. Die Gruppe würde noch eine Nacht dableiben, ich würde nur die Toiletten putzen müssen, und das am besten, wenn alle auf Wanderschaft waren. Dass sie das in dem Regen tatsächlich taten, wies sie als echte Isländer aus: um die Mittagszeit brach die ganze große Gruppe zum Tindfjallahringur auf, einer fünfstündig veranschlagten Wanderung in der Þórsmörk. Es regnete immer noch, aber der Wind hatte etwas nachgelassen, und so war auch alles in bester Ordnung. Ich fegte einmal grob die Hütte, putzte die Toiletten, legte eine Schubkarre über den Stromgenerator (um ihn grob vor Wasser zu schützen), und verbarrikadierte die Deckel der Mülltonnen mit schweren Steinen - eine weise Tat, wie ich hinterher feststellen sollte. Der Sturm kehrte nämlich zurück; in etwa mit der Rückkehr der 80-köpfigen Gruppe nahmen Wind und Regen wieder zu. Beim verspäteten Mittagessen kam ich aus dem Beantworten von Anrufen kaum hinaus: zuerst mussten Hüttenwartnews zwischen uns Þórsmörk-Hütten ausgetauscht werden („Bist du schon gefurtet? Wie schlimm war es? Haste Gäste heute Nacht? Fährst du irgendwann bald mal einkaufen?“), und dann rief mich ein gewisser Otto an, Vater einer gewissen Nanna. Dieser wollte seine Tochter eigentlich verfrüht von der Klassenfahrt abholen und erkundigte sich bei mir nach der Wassertiefe der Flüsse. Die Krossá hatte ziemlich zugenommen, und ich bot ihm an, seine Tochter mit dem Traktor auch bis über die Steinholtsá zu bringen, welche als zweitschwierigster Fluss hier in der Þórsmörk gilt. Ich will an dieser Stelle noch einmal erwähnen, dass die Flüsse von den letzten Gehöften an nicht mehr überbrückt sind und man letzten 20 Kilometer in die Þórsmörk hinein nur in vierradgetriebenen, hochgelegenen Autos überwinden kann. Dabei ist der Erfolg dieser Touren ganz extrem von der Bauart des Gefährtes, der Erfahrung des Fahrers und natürlich den Wetterbedingungen abhängig.
Nun, ich verabredete mich also mit Otto für kurz nach 17 Uhr an der Steinholtsá, suchte Nanna, wies sie an, ihre Sachen eine Dreiviertelstunde früher bereitstehen zu haben, und machte mich dann daran, die Hütte vor der drohenden Sinnflut zu retten. Der Regen hatte stark zugenommen und wurde vom Sturmwind senkrecht gegen Fenster und Wände gedrückt, so dass es überall zu tropfen begann. Tücher wurden unter Fensterrahmen gestopft, Schüsseln auf den Böden verteilt - so lange, bis mir das ganze zu extrem wurde. Hätte ich mich in einem normalen Haus befunden, hätte ich einen Wasserrohrbruch vermutet. Nun gab es aber in besagter Decke keine Wasserleitung - allerdings ein leerstehendes Zimmer obendrüber. Und als ich vor der Tür stand und versuchte, den passenden Schlüssel an meinem Schlüsselbund zu finden, machte mir der Windzug im Flur schon klar, was geschehen sein musste. Und tatsächlich: der Wind hatte es irgendwie geschafft, das Fenster halb aus seiner Verankerung zu reißen - ich muss vergessen haben, es gänzlich zu schließen. Es stand also sperrangelweit offen, der Wind peitschte den Regen durch den Raum, der Boden war geflutet. Kein Wunder, dass es untendrunter tropfte! Also Wischmopp und Tücher geholt, das Fenster notdürftig geschlossen und repariert, den Boden getrocknet, und alle angewiesen, einen Auge auf besagtes Fenster zu werfen solange ich fort sein würde.
Dann war es soweit. Ich musste Nanna antreiben, sich nun bitte endlich in Richtung es Traktors zu bewegen, und dann, um halb fünf, ging es schließlich los. Nannas zwei Reisetaschen hinter dem Sitz des Traktors verstaut, das zierliche Mädchen aus Reykjavík auf den unbequemen und engen kleinen Sitz über der Handbremse verbannt, und los ging es.
Der Traktor, mein einziges Fortbewegungsmittel in der Þórsmörk, ist ein hellblaues Monster mit knapp 160PS und Hinterreifen, die bei voll aufgepumpten Zustand etwa 170cm Durchmesser erreichen. Man sitzt darin höher als in einem Bus, und das Gefährt mit seinen 7 Tonnen Leergewicht lässt sich so leicht von nichts und niemandem umschieben - das perfekte Fahrzeug also, um Flüsse zu furten und Autos oder andere Gefährte aus selbigen herauszuziehen. Nur ist es ein Traktor - er ist folglich weder schnell noch bequem, und mehr als eine Person hat neben dem Fahrer bei aller Liebe keinen Platz.
Die Krossá, gestern nur ein kleiner, etwa 15m breiter Fluss von einem halben Meter Wassertiefe, war durch den durchgehenden Regen nun auf dreifache Größe angeschwollen. Dennoch kamen wir problemlos hindurch; sie hatte sich in mehrere Arme aufgespalten, von denen keiner tiefer als einen Meter war. Kein Problem also für meinen Trecker!
Langsam tuckerten wir weiter; jeder kleine Bach hatte sich in einen reißenden Fluss verwandelt, die Hvanná war plötzlich drei Flüsse, der Weg so uneben und schlecht, dass wir in Schritttempo dahin schaukelten. Die Stakkholtsá war auch angeschwollen, aber kein Problem, die Scheibenwischer surrten über die Frontscheibe, Nanna und ich hatten genug zu quatschen - unsere Laune war ganz wunderbar!
Bis, ja, bis wir zur Steinholtsá kamen.
Ich konnte meinen Augen nicht trauen, als wir vor einem reißenden Fluss standen, über hundert Meter breit, tiefbraun, mit hohen Wellen, die in einem abartigen Tempo ein viel zu hohes Gefälle hinabrasten. Was war aus dem zehn Meter breiten Bach geworden, der hier eine Woche zuvor noch gewesen war? Wo kam all das Wasser her? Ich war sprachlos.
Nanna hatte, wie wohl die meisten fünfzehnjährigen Mädchen an ihrer Stelle, zwar einen Heidenrespekt vor den Wassermassen, aber ein Gottvertrauen in den Traktor und mich. Ich beschloss, sie besser in dem Glauben zu belassen, redete mir Mut zu, und suchte eine Furt.
Es war mindestens so schlimm, wie es aussah. Obwohl ich den Fluss an der mit Abstand breitesten Stelle furtete und versuchte, die Wassermassen zu lesen, gingen wir schnurstracks auf Tauchstation. Die Vorderreifen waren komplett unter Wasser; das Wasser spritzte gegen die Glastüren, vom Motor stiegen Säulen weißen Wasserdampfes auf. Ich glaube, ich fluchte ziemlich laut und ziemlich ungezogen, schaltete runter und trat aufs Gas. Viel zu lange blieben wir viel zu tief im Wasser, der Motor gab ungesunde Geräusche von sich - und dann hatten wir es geschafft. Wir waren in "nur" noch ein Meter tiefem Wasser und hatten uns erfolgreich durch mindestens 1.5m reißenden Gletscherfluss gekämpft. In dem Moment spürte ich eine innige Liebe zu diesem unkaputtbaren, ollen Traktor und lobte ihn laut. Ich glaube, Nanna muss mich für total bescheuert gehalten haben. Sie war aber auch beeindruckt von der Wassertiefe, zumindest konnte ich das ihrem Kommentar entnehmen:
"Vá, þetta var nú svolítið djúpt", sagte sie.
Ja, das war tief gewesen. Zu tief für meinen Geschmack. Aber wir hatten es geschafft!
Der Rest des Flusses war ein Kinderspiel, wir waren schnell durch und stürzten und auf die Jökulsá, die komplett harmlos war. Und dann?
Otto und sein Jeep waren nirgendwo auszumachen. Also fuhren wir den Abstecher zur Gletscherlagune hoch - aber auch dort war er nicht.
Mir tat sich eine böse Ahnung auf. Sollte er wohlmöglich irgendwo steckengeblieben sein?
Nanna nichts davon sagend, fuhr ich weiter. Der nächste Fluss, bei gutem Wetter nicht einmal ein Wasserrinnsal, war auch wieder sehr tief. Dessen Nachbar war auch nicht von schlechten Eltern. Und immer noch kein Jeep in Sichtweite. Um kurz nach sechs sagte ich Nanna, dass ich sie nicht mehr viel weiter fahren könne, weil ich nicht wusste, wie viel Benzin ich im Tank hatte. Die Elektronik und alle Anzeigen im Traktor funktionierten nämlich auch nur sporadisch. Und ich sprach meine Vermutung aus, dass ihr Vater in einem der kleinen Bäche stecken geblieben sein müsse und vermutlich schon die Bergrettung in Hella kontaktiert hatte. Keiner von uns hatte ein Telefon dabei - ich verfluchte mich in dem Moment dafür, mir nicht eines der Lehrer ausgeliehen zu haben. Also blieb uns nur, zu warten - und das taten wir eine halbe Stunde lang.
Es wurde 18.30 Uhr, und es wurde zusehends dunkler. Der Regen ließ zwar etwas nach, ich saß allerdings mittlerweile auf wirklich auf heißen Kohlen. Ich konnte nicht weiterfahren, zum einen, weil mein Tankvorrat zur Neige ging, zum anderen, weil es dunkel wurde und ich dringend über die Steinholtsá musste, solange ich noch etwas erkennen konnte. Und gerade, als ich schon dabei war, zu verzweifeln, sahen wir eine Gestalt den Weg entlangkommen.
Ein Fußgänger!
"Þetta getur bara verið Pabba!" stöhnte Nanna, "Das kann nur mein Vater sein!"
Und genau der war es. Lustigerweise war geschehen, was ich bereits vermutet hatte: Er hatte sich in einem Bach festgefahren, sich aber selber wieder herausrangieren können, dann die Bergrettung in Hella angerufen und sie gebeten ihnen zu Hilfe zu kommen, da er wusste, dass ich mit dem Traktor nicht so weit fahren können würde. Er versicherte mir, dass die Bergrettung jeden Moment kommen würde und ich sie einfach im Regen stehen lassen solle - was ich dann tat, da das Tageslicht knapp wurde und ich wirklich Schiss davor hatte, diese verdammte Steinholtsá im Dunkeln furten zu müssen. Also verabschiedeten wir uns, Otto drückte mir als Dank für alles eine Tüte mit Lakritzschokolade und Trockenfisch in die Hand, und ich gab Gas und holte alles aus dem alten Trecker raus, was rauszuholen war.
Eine halbe Stunde später, die Regenwolken leuchteten dunkelrot, kam ich an die Steinholtsá, den tiefen Fluss. Er war in der vergangenen Stunde noch mehr angeschwollen. Diesmal ließ ich noch mehr Vorsicht bei der Wahl der Furt walten, mein Herz schlug mir aber trotzdem bis zum Hals. Dieser Fluss war der reine Wahnsinn! Niemand, aber auch nicht der dümmste Tourist, hätte sich an eine Überquerung gewagt, und ich vermute auch, dass selbst die Bergrettung mit ihren Monsterfahrzeugen kapituliert hätte. Doch ich hatte keine Wahl: ich musste zurück zur Hütte. Die einzige Alternative wäre es gewesen, die Nacht in der kalten, nassen Fahrerkabine zu verbringen - irgendwie hatte ich da keine Lust zu. Ich saß schließlich in einem der größten Traktoren des Landes, der mich bisher noch nie im Stich gelassen hatte!
Also ging ich es an. Die meiste Zeit über war das Wasser nur knapp einen Meter tief - aber die Hauptrinne des Flusses stand mir noch bevor. Als ich diese dann erreicht hatte, ging der Traktor wieder auf Tauchstation und musste ich zehn endlose Meter lang mannhohes Wasser durchqueren. Eine Wolke aus Wasserdampf stieg vom Motor auf, als er mit dem eiskalten Gletscherwasser in Berührung kam - dass dieser Traktor das mitgemacht hat, erstaunt mich immer noch! Es wird einem wirklich ganz anders, wenn man sich vor Augen hält, dass die komplett gefluteten Hinterreifen so groß sind wie einer selbst, und sich der Traktor nur deshalb nicht von der Strömung beeindrucken lässt, weil er in Bewegung und außerdem sieben Tonnen schwer ist. Die Sekunden im tiefen Wasser schienen endlos, mein Herz raste wie bei einem Schwimmwettkampf, mein Fuß drückte sich immer tiefer ins Gaspedal hinein, und ich feuerte, flehte, fluchte den Traktor an, mich gefälligst, bitte, verdammt noch einmal ans andere Ufer zu bringen!
Und das tat er. Als sich die Dampfwolken lichteten, und ich das steile Ufer erklommen hatte, ließ ich lautes Siegesgeschrei ertöten. Zur Feier des Tages brach ich den Trockenfisch an, während ich mit sage und schreibe 20 Stundenkilometern über den nicht mehr vorhandenen Weg in zunehmender Dunkelheit gen Langidalur tuckerte. Mich in diesem riesigen Traktor aus dem tiefen Fluss auftauchen zu sehen, wäre ein Bild für die Götter gewesen! Wie ich auf dem Sitz hin und her schaukelte, dabei lautstark im Takt zu den Scheibenwischern irgendwelche isländischen Schlager grölte, von gelegentlichen, adrenalinverursachten Urschreien unterbrochen - ich dürfte sämtliche anwesenden Trolle und Poltergeister in die Flucht geschlagen haben. Ich meine, mal ganz ehrlich: absurder konnte die Situation kaum mehr werden! Ich hatte gerade in einem Monstertraktor einen komplett unpassierbaren Fluss durchquert, saß nun im strömenden Regen in meiner quietschgelben Öljacke und in knallgrünen Wathosen in der tropfenden (da nicht wasserdichten) Innenkabine, stopfte Trockenfisch und Schokolakritze gleichzeitig in mich hinein und freute mich des Lebens. Ja, ich glaube, jeder anwesende Mensch hätte den Eindruck bekommen, es mit einer komplett bescheuerten Person zu tun zu haben.
Welch ein Glück, dass niemand in Sichtweite war!
Der Rest der Fahrt war ein Kinderspiel - zumindest gemessen an dem, was hinter mir lag. Die Krossá war nun, fast drei Stunden nach meiner ersten Durchquerung, noch mehr angeschwollen und erstreckte sich in fünf oder sechs Armen über die ganze Breite des langen Flussbettes. Einmal, nur kurz, wühlte ich mich doch noch einmal recht tief ins Wasser, etwa 1.30m muss der Wasserstand betragen haben, aber der Traktor brachte mich wieder anstandslos ins Trockene.
Und dann war ich, endlich, wieder auf der Heimatseite der Krossá angekommen, flitzte ins Haus, zog mir trockene Sachen an, raste hoch zur Hütte, schmiss den Generator an, und kümmerte mich dann um alle anfallenden Probleme und Anfragen meiner 80 Gäste, und das waren so einige. Und als ich dann, um etwa 21Uhr, endlich getrost alle ihren Problemen überlassen konnte (es spukte mal wieder im Klohäuschen, aber gegen Geister kann ich nun bei aller Liebe nichts unternehmen!), war erst einmal Abendessen angesagt!
Zum allgemeinen Erstaunen hatte der Regen plötzlich aufgehört und brach ein wunderschöner Abend an. Die Wolken lichteten sich und gaben Blicke auf die Sterne und den frisch abnehmenden Vollmond preis, und zu meiner großen Begeisterung auch auf mein erstes Polarlicht des Jahres! So ging ich dann noch schnell einmal den Fluss hinab, machte ein paar Fotos der grünen Lichtbögen am hellen Vollmondhimmel, und beschloss dann, dass der Tag nun zu Ende sei.
Und so war es dann auch.
Zuletzt geändert von Kerstin am Do 22. Nov 2007, 23:27, insgesamt 1-mal geändert.
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