Stellungnahme der Kommission zum Antrag Islands auf Beitritt

Island ist mehr als nur ein Reiseland. In diesem Forum werden gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Themen diskutiert. Eben alles, was nicht unbedingt mit Tourismus und Reise zu tun hat.
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Sæmundur
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Re: Stellungnahme der Kommission zum Antrag Islands auf Beitritt

Beitrag von Sæmundur » Do 25. Feb 2010, 21:40

Das Argument der Mitgestaltung von Rechtsnormen, die der EWR von der EU übernimmt, ist für mich nachvollziehbar. Dass Island aber das acquis communautaire der EU schon weitgehend übernommen habe, kann ich trotz der EWR-Zugehörigkeit Islands nicht recht glauben, denn sonst würde die Europäische Kommission wohl nicht in so vielen Bereichen "erhebliche Anstrengungen" von Island einfordern ...

Thema Fischerei: Laut Hagstofa Íslands (Statistics Iceland) waren 2008 von 178.600 Beschäftigten nur noch 4.200 in der Fischerei und 3.100 in der Fischverarbeitung tätig. Einschränkungen in der Fischerei, die ein EU-Beitritt wahrscheinlich mit sich brächte, würden also weniger Menschen betreffen als man vielleicht vermuten würde. Trotzdem bleibt Fisch eines der wichtigsten Güter der Isländer, sozusagen das "Gold", auf das sie sich auch in der schlimmsten Krise noch verlassen können. Einschränkungen in der Fischerei halte ich daher in erster Linie für ein psychologisches Argument, das weitaus mehr Isländer zu einer Ablehnung des EU-Beitritts bewegt als nur die unmittelbar betroffenen.

Vielen Dank für die zahlreichen Antworten!

Beste Grüße
Ulrich
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Gunnar von Hlíðarendi beim Entschluss, Island nicht zu verlassen
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Johannes
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Re: Stellungnahme der Kommission zum Antrag Islands auf Beitritt

Beitrag von Johannes » Do 25. Feb 2010, 23:11

Hi,

ich, der sich auch gern als "EU-Befürworter" outet, möchte einfach nur mal in die Runde streuen: Häufig werden Argumente gegen einen Eintritt bemüht, die letztlich auf Wahrung der Eigenständigkeit, auf Verlust der Identität, der Strukturen, Arbeitsplatzabbau und andere wirtschaftliche Nachteile hinauslaufen.
Drehen wir doch den Spieß mal um: Als Norwegen/Schweden/Finnland über den Beitritt abstimmten, entschied sich Norwegen mit knapper Mehrheit gegen und die anderen beiden mit knapper Mehrheit für den EU-Beitritt.
Soll man nun allen Ernstes behaupten, die Schweden und Finnen hätten ihre Identität, ihre Strukturen und ihr nationales Ego aufgegeben? Im Gegenteil - beide Länder sind ernst zu nehmende Vollmitglieder, die sich in das politische und wirtschaftliche Gefüge voll einbringen - etwas, was sie ohne Beitritt nie und nimmer könnten. Das Gewicht der beiden skandinavischen Länder im europäischen Reigen ist viel bedeutender, als die "Nebenrolle", die sie früher eher innehatten.
Viele Grüße
Johannes
MartinB
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Re: Stellungnahme der Kommission zum Antrag Islands auf Beitritt

Beitrag von MartinB » Fr 26. Feb 2010, 19:18

Wie viel "nationale Identität" (was immer man auch darunter verstehen mag) durch den Eintritt in die EU gefühlt verloren geht, hängt vom Ausgangspunkt und damit vom Veränderungsbedarf ab. Zu Finnland kann ich gar nichts sagen. Das Folgende ist jetzt sehr vereinfacht:

Die Schweden sind es gewohnt, dass der Staat intensiv in die Privatspäre hinein regiert. Die Norweger und Isländer erscheinen mir deutlich "individualistischer". Die schwedische Landwirtschaft ist eher mit den EU-Förderungen kompatibel, als die norwegische. in Norwegen kommt die spezielle Förderung der arktischen Regionen noch verstärkend hinzu. Die gefühlte Bedeutung der Fischerei ist in Schweden viel niedriger als in Norwegen und Island.

Dann gibt es noch einen großen Unterschied zwischen Schweden einerseits und Norwegen / Island andererseits: Schweden ist seit den Wikingerzeiten (also quasi seit Existenzbeginn) mindestens eigenständig - phasenweise sogar "Großmacht". Norwegen und Island sind über sehr lange Zeiträume fremdbestimmt gewesen - mit teilweise sehr schlechten Ergebnissen für die Länder und sind noch gar nicht so fürchterlich lang wirklich souverän. Da hat dann jede Abgabe von (mühsam errungener) Souveränität einen ganz anderen Stellenwert.
sgm

Re: Stellungnahme der Kommission zum Antrag Islands auf Beitritt

Beitrag von sgm » Fr 26. Feb 2010, 19:39

Naja Norwegen ist schon ein sehr spezielles Thema ;) .
Man muss nur mal versuchen, sich Norwegen ohne Erdöl vorzustellen. Wie würde es dann der NOK als Währung auf dem weltweiten Devisenmarkt gehen? Vermutlich sehr schlecht!
Norwegen kann es sich einfach leisten, aufgrund der Einnahmen aus dem Erdöl, außerhalb der EU zu bleiben. Von daher finde ich, ist gerade Norwegen ein schlechtes Beispiel, wenn man nach Argumenten gegen einen isländischen Beitritt sucht. (Mal ganz davon abgesehen, dass es ein deutliches Süd-/Nordgefälle für einen möglichen Beitritt gibt)

Landwirtschaft und Fischerei müssten sich dann sicher umstellen. Das Problem hatten aber auch andere Länder. Wie ja schon aufgeführt wurde, lebt sowieso nur noch eine Minderheit (die immer kleiner wird) direkt von der Fischerei/Landwirtschaft.

Viel interessanter, als sich mit emotional befrachteten Themen zu beschäftigen, ist doch die Frage, wie Island in Zukunft wirtschaftlich überleben will. Was hat das Land anzubieten, was andere nicht haben? Was kann man besser als andere?
Wenn ich die Frage wenigstens einigermaßen beantworten kann, dann stellt sich die Frage, hab ich mehr Vor- als Nachteile durch eine Vollmitgliedschaft in der EU? Wenn man es so macht, wie Griechenland in den 80ern, dann würde eine Vollmitgliedschaft mehr Nachteile mit sich bringen. Aber ich denke mal, so dumm und kurzsichtig sind die Isländer nicht (hoffentlich).
MartinB
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Re: Stellungnahme der Kommission zum Antrag Islands auf Beitritt

Beitrag von MartinB » Sa 27. Feb 2010, 13:06

Ich denke nicht, dass über einen EU-Beitritt streng rational entschieden wird - weder auf der Seite der evt. "Beitretenden" noch auf Seite der EU. Von daher würde ich die emotionalen Aspekte und Argumente nicht unterschätzen.
Die Bewertung der Bedeutung von "Erwerbszweigen" ist letzlich eine politische und hängt damit nicht nur von der Zahl der Arbeitsplätze oder dem Anteil am Bruttoinlandsprodukt ab, sondern hat auch einen starken symbolischen (und damit emotionalen) Bezug. Und der Beitrag von Johannes bezieht sich ausdrücklich auf die "emotionalen Faktoren".

Im Gegensatz zu Norwegen ist die Abhängigkeit Islands vom Fischexport und den damit erwirtschafteten Devisen sehr viel höher als die Abhängigkeit Norwegens von der Fischerei oder der Landwirtschaft.

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