Aus dem Tagebuch eines Hüttenwartes

Erfahrungsaustausch mal ausführlich.
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Kerstin
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Mittwoch, 17. Oktober 2007

Beitrag von Kerstin » Sa 19. Apr 2008, 18:29

Mittwoch, 17. Oktober 2007
Nú er frost á fróni, oder: Großreinemachen in Landmannalaugar

Dass Palli mich als Verstärkung zu Gerður schickte, welche die momentane alleinige Hüttenwartin in Landmannalaugar war, überraschte uns beide. Es ist wie gesagt kaum mehr etwas los im Hochland, die Hütte soll jeden Tag geschlossen werden. Theoretisch dürfte eine einzelne Person locker mit den anfallenden Arbeiten fertig werden - theoretisch zumindest. Praktisch verstehe ich Pallis Entscheidung mittlerweile sehr gut, mich hierher zu schicken. Die letzten Hüttenwarte, Gerður inbegriffen, haben nämlich sehr viele Arbeiten vor sich hergeschoben. Die Hütte und das Klohaus sind penibel saubergehalten, und Gerður hat auch schon die meisten großen Steine auf dem Campingplatz zu Haufen zusammengetragen und die Stege gelockert, was eine Menge Arbeit darstellt. Aber über diese Grundpflichten hinaus hat sie leider keinen Handschlag getan.
Das im Frühsommer neu errichtete Hüttenwarthaus sieht aus, als würden noch Handwerker darin arbeiten. Im Lager und der Werkstatt hat seit Wochen keiner mehr aufgeräumt; Gerður scheint in ihren fünf Wochen als Hüttenwart überhaupt noch niemals einen Fuß in besagte Räume gesetzt zu haben. Sie wusste folglich nicht, was sich wo befand, geschweige denn in welcher Menge es vorhanden war, hatte keine Ahnung vom Wassersystem oder wie sie reagieren soll, wenn es friert. Sie ist noch nie auf die Idee gekommen, den Unmengen von Müll an den Kragen zu gehen, welche um die Hütten verteilt im Gras lagen. Und das Plumpsklo, welches wir für die Winterzeit öffnen müssen, ist bis unters Dach mit Altpapier und Leergut gefüllt. Kurzum: es gab sehr viel zu tun.

Unter meiner recht bestimmten Anleitung haben wir zwei in den vergangenen drei Tagen Landmannalaugar einmal komplett auf den Kopf gestellt! Ich habe die Schuppen aufgeräumt, mir einen guten Überblick über die vorhandenen Materialien und Werkzeuge machen können, so dass ich nun eine Liste angefertigt habe über die Dinge, welche für die Winterzeit hier benötigt werden. Wir haben Tische, Grille und Mülltonnen im Unterstand beim Klohaus gestapelt, ebenso wie die Stege, welche wir abmontiert und zu zweit rübergeschleppt haben.

Mit Stegen meine ich die hölzernen Wanderwege, welche zwischen den Hütten und der heißen Quelle gelegt sind. Im Winter liegt hier überall Schnee, man könnte die Holzstege sowieso weder sehen noch nutzen - statt dessen würden die Jeeps dann drüberfahren. Schnee hindert die Isländer ja nicht daran, ins Hochland zu fahren, im Gegenteil: hier in Island gilt die Regel, dass man bei Schnee überall fahren darf, also auch offroad, was die Menschen der Insel mit Begeisterung tun. Mit den dicken Balonreifen der Superjeeps lässt es sich recht gut auf verschiedenen Schneearten fahren, selbst zugefrorene Flüsse und Seen schrecken die Wagemutigen nicht ab. Und erst recht nicht irgendwelche unter dem Schnee versteckten Holzstege.

Nun ist es an der Zeit für einen kurzen Exkurs über das Reiseverhalten des durchschnittlichen Isländers. Wenn einer der Inselbewohner davon spricht, dass er übers Wochenende verreist, dann kann man in 99% der Fälle davon ausgehen, dass er in einem modifizierten Jeep irgendeinen Teil des isländischen Hochlandes unsicher machen will. Das wiederum bedeutet, dass er etwas Einzigartiges tun möchte und garantiert nicht die Dinge macht, die Touristen tun würden. Vielleicht begründet dieser Wunsch der Abgrenzung gegenüber der Touristen (Synonym: "Ausländer") die Tatsache, dass bei den allermeisten der hellhaarigen, blauäugigen und kurznasigen Neowikinger spontane Erblindung einsetzt, wenn es um das Lesen von Verbots- und Hinweisschildern oder das Erkennen von Absperrungen geht.
Zusätzlich dazu handelt es sich bei der jeepfahrenden Subspezies des Homo islandicus außerdem um die wohl fußfaulste Art des Menschen - konkurrierend nur mit dem Homo vereinigtestaatus. Deshalb wird mit dem auf Saunatemperatur beheizten Gefährt immer so weit wie irgend möglich an das Etappenziel herangefahren; es scheint, als würde die Regel gelten, dass jeder zurückgelegte Schritt, jede körperliche Betätigung das Freizeiterlebnis mindern würde.

Auf das winterliche Landmannalaugar bezogen bedeutet dies, dass Jeeps beinahe direkt vor der Hütte geparkt werden. Die sich dabei unter dem Schnee befindlichen Holzwege und Plattformen können dem Gewicht der tonnenschweren Autos teilweise nicht standhalten. Folglich versuchen wir Hüttenwarte die Schäden zu begrenzen und montieren die Stege einfach für den Winter ab. Zumindest da wo es möglich und umsetzbar ist. Dass es sich dabei um eine Menge Arbeit handelt, dürfte klar sein, aber nur so können wir sicherstellen, dass die Holzwege im nächsten Frühsommer wieder einsatzbereit sind.

Nachdem wir die Stege vor dem Klohaus schön aufeinandergeschichtet hatten, schickte ich Gerður los, den Campingplatz aufzuräumen. Hihi, die Arme, sie hatte sich ihre letzten touristenfreien Tage in Landmannalaugar wahrscheinlich ganz anderes vorgestellt und nicht erwartet, von einer arbeitswütigen Deutschen zum Dauereinsatz abkommandiert zu werden... Während sie die Steine zusammenräumte, die von den Campern als Heringsbeschwerung im sandigen Untergrund genutzt werden, habe ich die mehreren hundert Meter Seil der Absperrungen zusammengerollt und die beweglichen Pfosten zum Klohaus gebracht - auch dies ist notwendig, damit die Jeeps und Schneemobile im Winter nicht alles kaputtfahren.
Damit war die Arbeit aber noch lange nicht getan. Wir haben die Leergutkästen geleert, Müll gesammelt und die ganzen im Freien gelagerten Müllsäcke zum Container gebracht. Wie überall, so gibt es auch hier Raben, und die sehen in den schwarzen Plastiksäcken potentielle Futterquellen. Die klugen Vögel säbeln die Säcke mit ihren Schnäbeln regelrecht auf und verteilen den Müll dann in alle Himmelrichtungen - Müllsäcke auf Island im Freien zu lagern ist folglich keine gute Idee!

Außerdem haben wir versucht, bei Minusgraden das neue Hüttenwarthaus braun anzumalen. Es ist bisher schneeweiß, soll aber dunkel angestrichen werden, um den existierenden Hütten angeglichen zu werden. Da es seit Wochen nur geregnet hat, war bisher nur eine halbe Wand braun angestrichen worden und wollten wir jetzt zumindest die Frontfassade fertig stellen, weil ein geschecktes Haus nicht wirklich toll ausschaut. Das Wetter ist seit einer Woche einigermaßen beständig, kalt aber trocken, so dass wir einen Malversuch starteten - diesen aber dann doch bald aufgaben. Die Farbe nämlich zog nicht ins Holz ein, sondern gefror daran fest: mit dem Resultat, dass man nur feste an das gestrichene Holz klopfen muss, um das Weiß unter dem scheckigen Braun wieder sichtbar zu machen. Das ist nun auch nicht der Sinn der Sache gewesen...

Bild

Zum Wetter: allmählich geht es dem Winter entgegen. Vor etwa einem Monat ist in Landmannalaugar schon ein Meter Schnee gefallen, der ist allerdings wieder komplett weggetaut. Die Spitzen der umgebenden Berge sind gepudert, aber ansonsten sieht hier alles aus, wie im Sommer - und das im Oktober! Landmannalaugar ist das Schneeloch des südlichen Hochlandes, wenn es irgendwo schneit, dann hier! Einer der Guides sagte mir, dass er es in fünfzehn Jahren noch nie erlebt hätte, dass hier im Oktober gar kein Schnee läge. Klimawandel lässt grüßen...
Seit der Nacht auf Montag friert es aber endlich und lassen wir die Wasserhähne deshalb ständig laufen, um ein Einfrieren und Platzen der Wasserleitungen zu verhindern. Heute Nacht wird es am Kältesten; -8°C ist vorausgesagt, und da wir den Tag über trotz Sonnenschein schon -2°C hatten, hoffe ich, dass die Wasserleitungen dies mitmachen. Das Problem hier ist nämlich, dass wir einen Wassertank nutzen müssen, um den nötigen Druck fürs fließende Wasser zu erhalten. Alles Wasser von Hütte und Campingplatz, warm oder kalt, kommt aus besagtem Tank. Wenn wir diesen leeren, damit er bei Frost nicht platzt, haben wir kein Wasser mehr und werden es auch nicht mehr haben solange es friert. Und da für morgen steigende Temperaturen angesagt sind, drücke ich uns die Daumen und hoffe, dass alles gut gehen wird...

gerneklein
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Re: Mittwoch, 17. Oktober 2007

Beitrag von gerneklein » So 20. Apr 2008, 01:41

Hallo Kerstin
Glueckwunsch zu diesem litarischen Hoehepunkt. Habe gut gelacht bei dieser Stelle. Besser kann man es nicht beschreiben wenn sich ein Jeep einem Wasserfall naehert, noch naeher, fast die anwesenden Touristen in den Abgrund schupst - und dann steigt keiner aus. Drinnen nur ein paar Islaender, betrachten durch die Windschutzscheibe den Wasserfall und nach einer kurzen Weile fahren sie wieder weg. Das ist die vielgelobte Naturliebe der Islaender - naja, sind wir mal fair ;-) - es gibt zumindest einige Islaender, die sowas machen.
Gruesse Leon
Kerstin hat geschrieben: Vielleicht begründet dieser Wunsch der Abgrenzung gegenüber der Touristen (Synonym: "Ausländer") die Tatsache, dass bei den allermeisten der hellhaarigen, blauäugigen und kurznasigen Neowikinger spontane Erblindung einsetzt, wenn es um das Lesen von Verbots- und Hinweisschildern oder das Erkennen von Absperrungen geht.
Zusätzlich dazu handelt es sich bei der jeepfahrenden Subspezies des Homo islandicus außerdem um die wohl fußfaulste Art des Menschen - konkurrierend nur mit dem Homo vereinigtestaatus. Deshalb wird mit dem auf Saunatemperatur beheizten Gefährt immer so weit wie irgend möglich an das Etappenziel herangefahren; es scheint, als würde die Regel gelten, dass jeder zurückgelegte Schritt, jede körperliche Betätigung das Freizeiterlebnis mindern würde.
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Sonntag, 21. Oktober 2007

Beitrag von Kerstin » Di 22. Apr 2008, 18:46


Sonntag, 21. Oktober 2007
Unbelehrbare Barbaren, oder: was tue ich hier eigentlich?

Vorsicht, dieser Artikel wurde in einer sehr deprimierten Gemütsverfassung geschrieben! Es gibt nichts desto Trotz Hoffnung für Islands Natur, und nicht alle Isländer sind böse! Anmerkung des Autors :wink:

Eigentlich blicke ich auf einen sehr schönen Tag zurück. Es ist Sonntag, alle Gäste verließen mich, ich bekam Besuch von guten Freunden - und dennoch sitze ich nun, da alle abgereist sind, gerade ungeheuer betrübt im schönen Hüttenwarthaus und fühle mich so miserabel, wie schon länger nicht mehr.
Grund ist eine erneute Diskussion mit einem Isländer über ein Thema, an dem man sich jedes Mal die Zähne ausbeißt: Aluminiumproduktion auf Island und der nicht vorhandene Respekt zur Natur.

Dass es in unserer konsumgeprägten Welt für viele Leute nichts Wichtigeres gibt, als Geld, habe ich in meinen fünfundzwanzig Lebensjahren ja mittlerweile eingesehen. Zähneknirschend zwar, aber an dieser Einsicht führt leider kein Weg vorbei. Dass die meisten Isländer Kraftwerke daher auch als etwas sehr Gutes ansehen und den Verlust der einzigartigen Natur als annehmbare Nebenwirkung betrachten, weiß ich mittlerweile auch. Und zugegeben: die Diskussion, ob man nun weite Teile des Hochlandes unter Stauseen verschwinden lassen und mit Straßen und Hochspannungsleitungen verschandeln soll, hat zwei Seiten. Zum einen geht nun einmal diese einzigartige Natur verloren, diese faszinierenden, menschenleeren Vulkanlandschaften des mittelatlantischen Rückens, die es sonst nur unter dem Meeresspiegel zu sehen gibt. Zum anderen aber steht da die einmalige Möglichkeit an, erneuerbare Energien zu nutzen. Islands Stromgewinnung ist 'sauber', wir reden hier nur von Wasser- und von Wärmekraft. Und von daher bin ich als Naturfetischist eigentlich auch bereit, Staumauern und Hochspannungsleitungen hinzunehmen - wenn dies in Zusammenarbeit mit (und Rücksicht auf) Land und Tourismus geschieht und, das ist das wichtigste, wenn es einem zukunftsträchtigen Sinn dient.

Es gibt zwei Gründe, die mich an die Decke gehen lassen, wenn das Gespräch auf die Kraftwerke kommt, die hier im nächsten Jahrzehnt an allen Ecken und Enden aus dem Boden sprießen sollen. Zum einen ist es die absolute Geldgier der Isländer. Geld über alles, Natur ist komplett nebensächlich, denn davon haben sie ja genug. Geld, Geld, und noch mehr Geld, und sie tun alles, um an dieses so schnell wie möglich zu gelangen. Isländer denken ungemein kurzsichtig. So leid es mir tut, das zu sagen, aber so ist es. Ich kenne kein geldgeileres Volk, als diese korrupten Neo-Wikinger. Und so kommen wir dann auch direkt zu Punkt Zwei meines Unbehagens: dass nämlich fast alle geplanten Staudämme für Aluminiumwerke gebaut werden, welche von ausländischen Investoren finanziert werden. Zu Spottpreisen wird der Strom an diese Firmen verschachert, zusammen mit den meisten Rechten, und dabei geht das Land und der Wert, der gerade in der Zukunft in der sauberen Stromgewinnung liegt, an dieses alles andere als umweltorientierte Geschäft über.

Aluminiumproduktion ist eine rundum dreckige Angelegenheit; nicht nur, dass die Rohstoffe dafür aus aller Welt angeliefert werden (Aluminiumoxid/Tonerde kommt aus Australien, weitere Rohstoffe aus aller Herren Länder), nein, auch wird das gewonnene Aluminium wieder in alle Himmelsrichtungen verschifft, um in den USA oder verschiedenen Billigländern weiterverarbeitet zu werden. Bei der Aluminiumproduktion selber entstehen Gifte, die hier in Island in Böden und Wasser gelangen, und außerdem enorme Mengen an Kohlendioxid und Kohlenstoffmonoxid - und damit hat die saubere Energieproduktion komplett ihre Bedeutung verloren!

Warum also Aluminium? Warum zur Hölle verkauft Island sein Land und seine Energieressourcen für einen Spottpreis an ausländische Unternehmen, während die Isländer selber ein Vielfaches für Strom zahlen müssen? Warum unterstützen sie nicht ihre eigenen Landsleute und die Projekte, die ebenfalls auf der Warteliste stehen? Wie zum Beispiel die geplante Wasserstoffgewinnung im großen Stil, welche Unmengen von Energie schlucken wird, so sie denn irgendwann einmal in Angriff genommen wird!?

Die Antwort ist einfach: Islands Politik ist korrupt ohne Ende. Die Politiker an der Macht sind von den großen Firmen geschmiert, welche in Island alles bestimmen. Und der Normalisländer glaubt gerne und ohne Hinterfragen was er hört und macht sich über negative Dinge ungern Gedanken. Ich kann mich wage daran erinnern, dass beim letzten Wahlkampf alle Parteien große Sprüche schoben, à la "Schönes Island - wir setzen der Großindustrie ein Ende! Erhaltet unsere Natur!". Und das Ergebnis? Zwei neue Aluminiumwerke, Helguvík (zwischen Reykjavík und Keflavík) und Bakka (Húsavík), stehen unmittelbar vor dem Bau. Halleluja, so habe ich mir Naturschutz vorgestellt!

Selbst neutrale Berichterstattung ist in Island ein Fremdwort; die Nachrichten hier sind ein Witz. Man hört immer nur die positiven Stimmen, alles wird verharmlost. Auch wenn die Isländer zu Panikdiskussionen neigen, so wird zwar viel geredet, aber im Endeffekt nichts klargestellt, im Gegenteil: die Verwirrung ist hinterher nur noch größer, als vorher. Ich verzweifele immer wieder, wenn ich den Nachrichten zuhöre oder Zeitung lese - die in der Politik aktuellen Themen werden groß und breit getreten, aber andere Nachrichten, kritische Hinterfragungen, besonders von Seiten des Naturschutzes, die werden, wenn überhaupt, nur kurz erwähnt und fallen dann sofort wieder dem Vergessen an. Geld hat, wie überall, das Sagen. Nur so sind solche Dinge zu erklären.

Und so sind wir dann auch beim dritten Punkt angelangt, den ich partout nicht verstehe: weshalb keine Kompromisse eingegangen werden können. Alle sehen in wilder Natur nur ungenutzte Energieressourcen. Tourismus wird nicht als Einkommensquelle angesehen - komischerweise, denn genau dieser ist im Kommen. Jährlich kommen 20-40.000 Touristen mehr auf diese kleine Insel, und wenn man es einmal anpacken würde, könnte man daraus wirklich Geld machen - auf umweltverträgliche Weise. Aber nein, statt dessen werden die schönsten Gegenden des Landes munter für Kraftwerkbauten verplant. In 15 Jahren wird das Hochland eine von Stromleitungen und Wegen durchzogene Seenlandschaft sein, wenn es nach den Plänen von Wirtschaft und Politik geht.


Bild
Link zum Artikel auf SavingIceland.org
Dies ist kein Plan über die beabsichtigte Nutzung der Energieressourcen, sondern eine schematische Darstellung aller Orte Islands, aus denen man in großem Maße Energie schöpfen kann. Also Flüsse, die man zur Wasserkraft anstauen und Hochtemperaturgebiete, in denen man die Erdwärme nutzbar machen könnte - theoretisch zumindest. Einige wenige Gebiete stehen unter Schutz (wie Landmannalaugar oder Laki), sind aber dennoch als potentielle Energielieferanten angegeben. Und wenn sich die isländische Bevölkerung nicht langsam gegen den Trend zur Großindustrie wendet, werden in zwei Jahrzehnte viele unberührte Gegenden zur Energiegewinnung erschlossen sein.

Und wie üblich wird all dies über den Köpfen der Normalbürger entschieden - die isländische Mentalität, allem eine Chance zu geben, hilft in diesem Falle auch nicht unbedingt weiter. Es ist, als würde niemand an negative Konsequenzen denken wollen! Im Falle der beiden unmittelbar vor dem Bau stehenden Aluwerke hat man zwar alles schon eingeleitet und redet man lang und breit über die vielen tollen neuen Jobs und ausländische Investoren, weiß aber noch gar nicht so genau, wo die ganze Energie hergenommen werden soll. Erst handeln, dann denken, das scheint die isländische Devise zu sein. Schnell bauen und Geld ins Land holen, um den Rest machen wir uns später Sorgen...

Auch eine Ölreinigungsstation soll mit immer sicher werdender Wahrscheinlichkeit in den Westfjorden errichtet werden, in einem der bisher unberührtesten Gegenden des Landes. Wie üblich handelt es sich auch hierbei um ein äußerst fragliches Großprojekt: Russland will seine verschmutzen Ölabfälle nach Island schiffen und dort reinigen lassen - es mangelt nämlich an Ländern, die bereit sind, die Arschkarte zu ziehen und sich die ein oder andere Ölpest, Unmengen an Giftstoffen und nebenbei zusätzlich eine Million Tonnen CO2 pro Jahr ins Land zu holen.
Aber Island ist sich ja für nichts zu schade, und das Land bisher so sauber, dass man ruhig die ein oder andere Verschmutzung hinnehmen kann. Es scheint, als habe man es hier auf Teufel komm raus darauf angelegt, das sauberste Land Europas in das größte Dreckloch des Nordens zu verwandeln. Und auch hier haben Naturliebhaber und der Tourismus gar nichts mitzureden. Denn der bringt ja kein Geld, ganz im Gegensatz zur Großindustrie.
Dass ich nicht lache!

Die momentan häufigsten Besucher hier in Landmannalaugar sind reiche Reykvíkingar in superteuren Jeeps - und gehören im seltensten Fall zu der Art von Mensch, der die Natur schätzt. Nein, die meisten loben Islands Großindustrie in höchsten Tönen und sehen das Hochland nur als riesigen Spielplatz an, in dem sie ihre Autos ausfahren können. Klimawandel? Naturzerstörung? Worte und Diskussionen, die diese Typen nicht erreichen. Sie benehmen sie, als seien sie die Herrscher der Welt, fahren ihre Superjeeps so oft sie können wohin sie wollen, und ich glaube nicht, dass sie die isländische Natur auch nur im geringsten zu würdigen wissen. Ich muss hier viel einstecken; die Tatsache, dass ich eine Frau und noch dazu kein Isländer bin, macht mir die Arbeit nicht leichter. Ich ernte immer wieder verächtliche Blicke, wenn ich aus der Hütte komme und sie bitte, doch endlich den Motor ihres Jeeps auszumachen, der seit der Ankunft vor über einer Stunde ununterbrochen läuft - und höre dann empörte Antworten, wie: "Aber dann wird es doch kalt im Auto!"
Und dann protzen und prollen sie mit ihren Autos, ihren GPS-Geräten, ihren Reifen, ihren Abenteuern, sie verschütten Benzin und Öl wenn sie auftanken oder am Motor rumbasteln, die schmeißen Müll und Zigarettenkippen achtlos aus dem Autofenster. Immer und immer wieder laufe ich ihnen hinterher, drücke ihnen ihren Müll wieder in die Hand, bitte sie, die Motoren auszuschalten, und immer und immer wieder begegne ich nur ungläubigen bis spöttischen Blicken, die mir ohne Worte mehr als genug sagen.
Energiesparen? Isländer sparen nicht, das würde ja ein Zeichen von Schwäche und Armut sein! Rücksicht und Respekt vor der Natur? Hier ist doch alles Natur, was braucht man denn da schützen?! Das bisschen Plastikfolie wird doch eh vom Wind entsorgt! Nein, Natur wird in Island nicht geschützt, sie wird erobert. Punktum, Ende der Diskussion!

Und manchmal, an Tagen wie diesen, scheint mir alles einfach nur hoffnungslos, alle Hartnäckigkeit und Mühe vergebens. Ich weiß, dass es viele Isländer gibt, die ihr Land und ihre Natur genau wie ich lieben und zu würdigen wissen, und die genauso wenig verstehen, warum solche Typen sich so ignorant und egoistisch verhalten. Nur habe ich dieser Tage kaum mit Gleichgesinnten zu tun und komme mir vor, wie der einzig Sehende in einem Haufen Blinder.
Aber weil ich jetzt wirklich weder Lust noch Energie habe, mich weiter darüber aufzuregen, mache ich jetzt Schluss. Eine gute Mütze Schlaf dürfte die Mordlust, die ich auf oben beschrieben Art von Großkotzisländer gerade verspüre, hoffentlich etwas besänftigen.

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Sigrid
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Beitrag von Sigrid » Di 22. Apr 2008, 23:24

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marled
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Beitrag von marled » Mi 23. Apr 2008, 14:52

Ich äußere mich dazu jetzt mal nicht, gebe nur den Link zu einem passenden artikel in der Icelandreview weiter:
http://www.icelandreview.com/icelandrev ... _id=304811
Demnächst auch mehr dazu von mir.
Marled
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Beitrag von MartinB » Mi 23. Apr 2008, 16:17

Zum Icelandreview-Artikel:
Ja, ja und aus Atomkraftwerken kommt ja auch weder Strahlung noch radioaktiver Abfall heraus. Alles sauber!

Wie ich die ewig gleichen Sprüche doch mag :evil:
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Beitrag von Peter » Mi 23. Apr 2008, 16:54

Ich würde vorschlagen, die Diskussion rund um Energiegewinnung und Gesellschaft hier zu beenden und stattdessen im Bereich "Politik, Gesellschaft und Wirtschaft" fortzusetzen. Hier geht es primär um den Reisebericht.
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Kerstin
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Donnerstag, 25.Oktober 2008

Beitrag von Kerstin » Sa 26. Apr 2008, 12:57


Donnerstag, 25.Oktober 2008

Ein Berg aus Handtüchern, oder: die letzten Aktionen des Jahres

Langsam hält der Winter Einzug in meinen Kopf. In der Þórsmörk zeugten Herbststürme und bunte Farben noch vom Herbst, aber jetzt in Landmannalaugar wird es winterlich kalt. Die Temperaturen liegen des Nachts jetzt immer unter Null und die Bergspitzen werden immer wieder aufs Neue weiß gepudert. Auch die immer seltener werdenden Besuche von Touristen und Isländern zeugen vom Ende der Saison.

Obwohl in Island schon ab September mit dichtem Schneefall gerechnet werden kann, beginnt der Winter für mich persönlich erst Anfang November. Dann ist es normalerweise ungemütlich und kalt und die Nächte spürbar lang. Die Übergänge von der Mitternachtssonne im Juni/Juli zu gerade einmal vier Stunden Sonnenlicht zum Jahreswechsel sind fließend. Da die Tage vom 21. Juni an täglich bis zu 10 Minuten kürzer werden, bekommt man den Wechsel gar nicht so bewusst mit. Erst Ende September haben wir uns deutschen Lichtverhältnissen angeglichen, und jetzt, Ende Oktober, sind die Tage immer noch neun Stunden lang. Wirklich dunkel sind eigentlich nur Dezember und Januar: um Weihnachten herum kann man in Südisland die Sonne vier Stunden lang am Horizont entlang kriechen sehen (so denn keine Berge oder Wolken die Sicht verdecken) - Nordisland bekommt sogar nur drei Stunden Sonnenlicht; manche Täler dort liegen zwei Monate lang im Schatten. Zum Glück liegt Island noch unterhalb des Polarkreises und werden uns die Polarwinter der höheren Breiten erspart - gar kein Sonnenlicht zu sehen, also Wochen gänzlich ohne Himmelserhellung, stelle ich mir interessant aber schwierig vor! Denn wenn sich schon die vier Stunden Sonnenlicht im Winter so negativ auf die Psyche vieler auswirken, wie depressiv mag man dann bei gänzlich ausbleibender Sonne werden?

Die letzten fünf Tage habe ich hier in Landmannalaugar alleine verbracht. Gerður ist abgereist, um sich ihrem Studium zu widmen, und ich habe die wirklich letzten Arbeiten ausgeführt, bevor die Hütte für den Winter dichtgemacht wird. Dazu gehört, das Wasser im Toilettenhaus abzustellen, die Spülkästen zu leeren und Frostschutzmittel überall einzufüllen, wo man es nur hineinfüllen kann. Meine ganzen Tätigkeiten aufzuzählen will ich mir hier ersparen, das würde zu langweilig werden. So seien aber zumindest zwei Dinge zu nennen: mein Kampf mit dem Plumpsklo und einem Berg aus Handtüchern!

Das Plumpsklo ist ein Sommer komplett ungenutztes, kleines Haus, das zwischen dem großen Toilettenhaus und der Hütte liegt. Den Sommer über diente es den Hüttenwarten als Abstellkammer, und dementsprechend sah es dort aus: bis unter die Decke stapelten sich Altpapier und Altglas; ich bin beinahe unter einer Lawine aus Dosen begraben worden, als ich zum ersten Mal die Tür aufstemmte und neugierig meinen Kopf in den kleinen Raum steckte. Gerður stand nebenbei und lachte sich schlapp, als ich fluchend nach hinten sprang und Dutzende von Plastikflaschen und Coladosen ihren Weg nach draußen fanden... Zur Strafe durfte sie mir dabei helfen, die Ausreißer wieder in einen Plastiksack zu verfrachten!
Die mehreren Kubikmeter Papier und Pappe so zusammenzuschnüren, dass sie abtransportiert werden können, war eine zeitraubende Angelegenheit. Danach musste der kleine Raum von oben bis unten geputzt werden; er war gut sieben Monate nicht mehr gereinigt worden, was verschiedene, teilweise auch dreidimensional wachsende Pilzarten ganz wunderbar fanden.
Brrr....

Außerdem habe ich begonnen, Ordnung in die Rumpelkammer zu bringen, welche eigentlich die Putzkammer der Hütte sein sollte. Der winzige Raum war so mit unnutzem Kram, Müll und verschimmelten Tüchern angefüllt, dass ich mich frage, wie meine Vorgänger dort jemals etwas finden konnten. Die benachbarte Kammer sah ebenso aus; mit dem lose am Boden herumliegenden Pfandgut habe ich fünf große, schwarze Müllsäcke füllen können, die jetzt bereitstehen zum Abtransport nach Reykjavík.
Dabei war es wirklich erstaunlich, was hier alles vergessen wurde! Den allergrößten Teil des Pfandgutes bildeten Handtücher, Bade- und Unterwäsche sowie Socken; gut drei große Müllsäcke habe ich damit gefüllt. Badeanzüge, Bikinis und Boxershorts - ja sogar drei Paar Schuhe waren dabei!
Auch Dinge von Wert wurden vergessen, so zum Beispiel vier Armbanduhren, ein Objektiv für eine Canon-Kamera, ein (uralter) Belichtungsmesser, Schmuck, ein Handy, eine Kreditkarte sowie vier Kameras, wovon drei allerdings Einwegkameras waren. Diese werde ich mitnehmen und entwickeln lassen - mal gucken, was für Fotos gemacht wurden! Hihi...
All diese Dinge werden im Büro des FÍ für ein Jahr gelagert, bevor sie entsorgt werden. Falls also jemand unbedingt seine gelben Stinkesocken oder die tolle Nike-Boxershorts wiederhaben will, die er vergessen hat, darf er sich gerne an den FÍ wenden!

Morgen wird mein letzter offizieller Tag als Hüttenwart sein - zumindest für das auslaufende Jahr 2007. Landmannalaugar wird geschlossen und erst im Februar wieder geöffnet - von niemand anderem als mir! Ich bin seit Jahren die erste Person, die sich darauf einlässt, zu dieser Jahreszeit mehrere Wochen am Stück in Landmannalaugar die Stellung zu halten - normalerweise ist die Hütte in der Winterzeit nur an wenigen Wochenenden besetzt.
Was mich erwarten wird? Ich habe nicht die geringste Ahnung! Schnee, hoffe ich doch, das ein oder andere Polarlicht wünsche ich mir - und alles weitere lasse ich auf mich zukommen! Man hat mich schon gewarnt vor Alkoholexzessen reisender Isländergruppen; es sind wohl schon mehrere Leute beinahe in den Quellen ertrunken oder im Schnee erfroren, weil sie so sternhagelvoll waren.
Nun, das sind zugegeben nicht wirklich die rosigsten Aussichten, aber ... he, wann hat man schon einmal die Chance, ein paar Wochen im Winter abseits jeglicher Zivilisation zu leben? Ich bin bereit für dieses Experiment - und werde mich das nächste Mal dann wohl erst wieder im Jahr 2008 melden!


Bild
Nachträglich ein Bild aus der Þórsmörk - aufgenommen kurz bevor ich nach Landmannalaugar gebracht wurde
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Samstag, 02. Februar 2008

Beitrag von Kerstin » Mi 21. Mai 2008, 01:09


Samstag, 02. Februar 2008

Normales Antrittschaos, oder: eine Anreise im isländischen Stil


Wochenlang habe ich diesen ersten Monaten des Jahres 2008 entgegengefiebert. Der FÍ hatte mir versprochen, mich auf unbestimmte Zeit um Ostern herum in Landmannalaugar arbeiten zu lassen. Landmannalaugar einmal im Winter zu erleben ist schon seit Jahren mein großer Traum gewesen!
Also kam ich Ende Januar nach drei Monaten Winterpause wieder nach Island. Noch an meinem ersten Arbeitstag, Freitag dem 1. Februar 2008, war unklar, wann ich Reykjavík denn jetzt eigentlich verlassen würde. Fest stand nur, dass ich spätestens am Montag ins verschneite Hochland gefahren worden wäre. Als mein Chef Palli mir dann Freitagmorgen mitteilte, dass es nachmittags schon losgehen würde, war ich allerdings nicht sonderlich gestresst. Das ist ja mittlerweile so was von normal, spontan aufzubrechen...

Gepackt und eingekauft hatte ich schon an den Tagen zuvor; kistenweise stapelte sich mein Gepäck im Büro des FÍ. Allerdings muss ich zugeben, dass es gar nicht so einfach ist, Lebensmittelvorräte für drei Monate einzukaufen - selbst wenn man wie ich auf kulinarisch niedrigstem Niveau lebt, sprich: sich hauptsächlich von Nudeln und Dosenfutter ernährt. Und Vitaminpillen. Die sind aufgrund mangelnder Frischware unentbehrlich, schließlich will ich nicht an Skorbut erkranken! :wink:

Da ich schon seit Mittwoch in Reykjavík war, hatte ich im Büro des FÍ noch andere Dinge zusammengesucht: Putzmittel, Kerzen, Funkgeräte, Telefon und was man nicht sonst noch alles zur Instandhaltung einer Hochlandhütte benötigt! Für mich selber ging ich dann auch noch in den Geschäften auf Materialsuche: ein neuer Schneeanzug war fällig, sowie ein Paar Schneestiefel und zwei lustige Schneeschuhski, deren Nutzen ich erst noch herausfinden muss!

Freitagabend wurde ich dann von Einars Sohn Haukur abgeholt; all mein Gepäck kam mit ins Auto. Es war saumäßig kalt in Reykjavík, morgens hatte ich bei -10°C noch eine Perlmutterwolke sehen können (ein Ereignis, das selbst aufmerksame Himmelsbeobachter nur einmal im Jahr zu sehen bekommen), und nun in der Nacht sollten im ganzen Land die Temperaturen unter -15°C fallen.
Ich übernachtete bei Einar in der Nähe von Hella. Einar ist unser "Mädchen für alles", der "Hüttenvater", ein typischer Isländer der älteren Generation: ein Allroundhanderwerker (auch genannt 'Alleskönner') und Meister der Improvisation. Ich weiß nicht genau, wie alt er ist, Mitte 70 würde ich schätzen, doch das tut seinem Können und seiner Arbeitswut keinen Abbruch. Einar kennt die Hütte in Landmannalaugar wie seine Westentasche; er ist mein Ansprechpartner, wenn ein Problem auftritt, das ich nicht lösen kann - und er ist derjenige, der meine Anreise ins Hochland organisiert hat.

In der Nacht fiel das Thermometer unter -23°C, bei Veiðivötn im Hochland wurde -27° gemessen. Und in dieser wunderschönen Eiseskälte fuhr Einar mich am Samstag um 8Uhr nach Hella. Die Flugbjörgunarsveit á Hellu (Flug-Bergrettung in Hella) machte einen Familienausflug zu den Landmannahellir, und von dort aus wollte man mich mit dem Schneemobil nach Laugar fahren, das ja sozusagen nur auf der anderen Seite der Berge liegt. Daher hatte ich alles Notwendige in meinen Wanderrucksack gestopft, was dann aber zusammen mit meiner Kameratasche doch noch eine beachtliche Menge ergab. Der Rest meines Gepäcks blieb erst einmal bei Einar - es soll am Montag von einigen Handwerkern mitgebacht werden.

Um halb elf gelang der chaotischen Truppe dann endlich der Aufbruch; in riesigen Fahrzeugen fuhren wir zur Hekla hinauf. Bereits dort lag der Schnee gut anderthalb Meter hoch; die Straßenschilder guckten nur noch so gerade eben aus der weißen Landschaft heraus. Ich erkannte die Gegend kaum wieder!
17 Mann waren wir insgesamt, und nachdem die Trägerfahrzeuge am Domadalsabzweig stehen gelassen wurden, waren wir immerhin noch in einem RIESIGEN Unimog (Reifengröße: 54 Zoll), einem Schneefahrzeug (so eine Art Panzer mit Anhänger), einem Schneemobil, einem Quad und zwei Sechsrädern unterwegs. Selbst für einen Ausflug der Bergrettung war dies eine beachtliche Ansammlung von Fahrzeugen!

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So, und nun werde ich mich einmal (kurz) über die isländische Jeepkultur auslassen! Aber Vorsicht! Wie üblich nehme ich weder ein Blatt vor den Mund noch Rücksicht auf eventuell sehr autofixierte Männer! Also: Weiterlesen auf eigene Gefahr! :wink:

Offroadfahren ist in Island, wie fast überall auf der Welt, gesetzlich verboten. Das Befahren der Hochlandstraßen ist ohnehin meist schon aufregend genug - da muss man nicht noch die Natur beschädigen! Im Winter aber, wenn Schnee die Wege bedeckt, gilt die Regel, dass man fahren darf, wo Schnee liegt - und das ist der Hauptgrund für einen Isländer, einen Jeep mit Reifen größer als 38 Zoll zu besitzen. Für alle, die mit dieser Zahl nichts anfangen können: ein PKW-Reifen ist so normalerweise 14-20 Zoll groß.

Die Superjeep-Kultur der reichen Isländer trumpft alle je da gewesenen Maßstäbe: hier gelten nur noch Superlative. Mann definiert sich an der Reifengröße seines Jeeps und an seiner Arroganz: je größer, je extremer, desto besser. Man verzeihe mir diese freche und verallgemeinernde Aussage, aber: diese Typen, die im Winter mit Jeeps das Hochland befahren, die sind alle nicht mehr ganz dicht! Ausnahmen bilden diejenigen, die ihren Ehefrauen gestatten, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen (normalerweise werden Frauen in solchen Autos auf die Rückbank verdammt bzw. kommen gar nicht erst mit) oder die plärrenden Kinder auf dem Schlitten (oder wenn sie im Teenageralter sind auf Abfahrski) hinter dem Wagen herziehen. Ach ja, und die Bergrettungsteams sind auch ganz in Ordnung: darin sind nämlich vorwiegend junge Leute, die sich einen eigenen Superjeep im Leben nicht leisten können werden und die über soziale Umgangsformen verfügen. Ganz im Gegenteil zum Otto-normal-Superjeepfahrer, der vom Alter her so zwischen 40 und 50 Jahren anzusiedeln ist, einen Bierbauch besitzt sowie ein Ego, das alles andere in den Schatten stellt. Zumindest bilden sie es sich ein, die werten Herren.

Sie machen also im Winter mit ihren Jeeps jede Ecke des Hochlandes unsicher und steuern dabei besonders gerne die Gegenden an, die als kaum befahrbar gelten - Pioniergeist lässt grüßen. Gefahren wird nach Gefühl und GPS wo immer Mann hinwill - ob er ankommt, ist die große Frage, denn das Fahren im Schnee ist eigentlich äußerst beschwerlich. Erstens sind diese Riesenjeeps (die in anderen Ländern gar nicht für den normalen Straßenverkehr zugelassen sind) verdammt schwer. In Pulverschnee kommen sie kaum voran, die Reifen drehen andauernd durch; die Wagen schieben einen Wall aus Schnee vor sich her. Und wenn man das Pech hat und die Temperaturen steigen bzw. man auf Seen oder Flüssen fährt, dann bricht man in nassem Eisschnee ein. Fast jeden Winter sieht man die abenteuerlichsten Bilder in Internet und Zeitungen, wenn mal wieder ein Jeep in einen See einbrach und mit Kettensägen und mehreren Seilwinden wieder hervorgebracht wurde. Manchmal erst im folgenden Sommer. Dann hat der Besitzer leider Pech gehabt.

Abschleppseil und Schaufeln gehören also genauso zur Grundausstattung einer winterlichen Jeeptour, wie eine gut überziehbare Kreditkarte und eine äußerst tolerante Versicherung. Isländer sind zwar generell in Gruppen von mindestens zwei (und meistens vier bis sieben) Jeeps unterwegs, um sich gegenseitig aus Schneematsche oder Pulverschneelöchern ziehen zu können - aber kostenspielig wird es früher oder später dann doch. Wie gesagt, es ist schon fast die Regel, dass tonnenschwere Autos aus Seen geborgen, gebrochene Achsen oder diverse Motorschäden behoben werden müssen. Aber auch ohne Technikproblem muss die Geldbörse leiden - die Grundkosten sind enorm. Ein Satz Balonreifen gefälligst? Einmal Volltanken fürs Wochenende? Bei den über 400€ Tankkosten pro Ausflug fällt immerhin der Alkoholkonsum kaum ins Gewicht! Und wenn dann mal die Achse bricht, der Motor nicht mehr funzt oder einem einen Winter lang Fische durch den Innenraum schwimmen, dann kann man zumindest Zuhause und bei der Arbeit damit angeben!

Das Wissen, dass einer der teilnehmenden Wagen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nach dem Tripp einer kostenspieligen Reparatur unterzogen werden muss, scheint aber nur ein weiterer Ansporn zu sein, sich im Schnee auszutoben. Für diese extreme Spezies von 4x4-Fahrer gibt es nichts Abenteuerlicheres, als sich seinen eigenen Weg im Schnee zu schaffen und jegliche Wege einfach zu vergessen - und dabei teilweise mit weniger als 5km/h vorwärts zu kommen. Das zumindest ist meine bisherige Erkenntnis, weswegen ich dieser Reise mit größten Bedenken entgegensah. Meiner Erfahrung nach dauern solcher Winterfahrten weitaus länger, als sie geplant werden, auch und vor allem, weil es garantiert immer zu irgendeiner Panne kommt!

Dementsprechend erstaunt war ich, als wir zügig und ohne jegliche Probleme bereits am frühen Nachmittag in Landmannahellir eintrafen. Meine Hoffnungen, ebenso zügig nach Landmannalaugar weiterzureisen, lösten sich dort aber in Luft auf - denn nun stürzten sich alle auf diverse Wintersportarten. Kinder und Frauen bekamen Unterricht im Schneemobil- und Quadfahren und tobten sich am steilen Hügel hinter den Hütten aus. Der Schnee war aufgrund der Kälte steinhart und so ideal zum Herumrasen geeignet, dass die Kleinfahrzeugfahrer kurzerhand die Rolle eines Skilifts übernahmen: sie fuhren Schlittenfahrer den Berg hinauf, und in einem Affenzahn kamen dann alle den vereisten Hang hinuntergerast. 70km/h erreichte der schnellste Schlittenfahrer laut des Schneemobils, das nebenher fuhr und das Tacho im Auge behielt. Ein beachtliches Tempo dafür, dass man sich auf einer Plastikschüssel einen vereisten Berghang hinunterstürzt!

Nachmittags dann stiegen alle Interessierten ins Schneeauto, diesem ausgedienten norwegischen Armeefahrzeug im Besitz der Bergrettung, und auf den Ketten fuhr es uns langsam aber unaufhaltsam durch das Dómadal nach Landmannalaugar. Um 18Uhr war die Sonne längst untergegangen, als ich endlich an der Hütte ankam - sehnsüchtig erwartet von 15 Gästen. Diesen war gesagt worden, dass der Hüttenwart (ich) schon lange vor ihnen eintreffen würde, und daher hatte man ihnen keinen Schlüssel gegeben. Ohne Schlüssel kamen sie nicht in die Hütte hinein - aber sehr wohl an den Grill, den sie bereits angeheizt hatten und auf dem vier Lammkeulen schmorten. Doch meine Verspätung hatte keinesfalls für schlechte Stimmung gesorgt, dafür war das Wetter zu fantastisch, die Biervorräte zu groß und das Hallo zu freudig, als sich Jeepfahrer und Bergrettungsleute wiedererkannten.

Die Bergrettung hielt sich nicht lange auf und fuhr bald zurück - ich allerdings titschte im Dreieck hin und her. Dies und das wurde verlangt und gefragt, dabei musste ich mich selber erst einmal orientieren. Schnee ohne Ende, kein Wasser weit und breit, das Plumpsklo war zugeschneit, weil die letzten Gäste leider vergessen hatten, die Türe zu schließen. Ich selber kam gar nicht erst in mein Hüttenwarthaus hinein, weil eine zwei Meter hohe Schneewehe die Tür blockierte und diese mit mehreren Brettern vernagelt ist. Ich habe keine Ahnung, was da los ist, aber es scheint, als sei die Tür bei ihrem letzten Gebrauch irgendwie komplett aus den Angeln gerissen worden... Oh man...

Von daher übernachte ich vorerst in der großen Hütte und habe genug damit zu tun, diese zu putzen. In den Wintermonaten gibt es hier eigentlich keinen Hüttenwart (es sei denn, eine bekloppte Deutsche erklärt sich dazu bereit...) und sind die Gäste, die sich vorher den Schlüssel abholen müssen, für die Sauberkeit verantwortlich. Im Falle der Superjeepfahrer bedeutet dies, dass natürlich niemand auch nur einen Besenstrich tut - und die Hütte so dreckig ist, dass ich wohl mehrere Tage Frühjahrsputzenergie aufbringen muss, um ein lebenswertes Haus daraus zu machen... Hmmja...

Die technischen Dinge überlasse ich Einar und seinem Handwerkerteam, die sich für Montag angekündigt haben und unter anderem dafür sorgen wollen, dass die Hütte über fließend Wasser verfügt. Das wäre wirklich klasse, denn momentan rennen alle noch mit Kanistern und Eimern zur Quelle und schaffen sämtliches Wasser auf diesem Wege in die Küche.

So, und zum Schluss will ich noch diesen (ziemlich guten) Artikel bewerben, der kürzlich im Wall Street Journal veröffentlich wurde und sich ebenfalls mit der absurden Jeepkultur der reichen Isländer beschäftigt. Wer sich auf Englisch dort heranwagt, der sollte einmal nachschauen, er ist wirklich lesenswert!

Hier der Link:
Icelanders' love of crazy trucks hits deep freeze
Zuletzt geändert von Kerstin am So 25. Mai 2008, 02:33, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitrag von Chevyartictruck » Mi 21. Mai 2008, 07:32

Hallo Kerstin

also zumindest das mit den Ehefrauen auf dem Rücksitz oder sie ganz zu Hause lassen, find ich jetzt wirklich nicht sooooo schlecht, ist viel stressfreier, glaubs mir ich kenn mich da aus :twisted:

Gruß Chevy
wer immer nur brav ist, wird nie erwachsen!

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