Hallo Heinz,
ich war Anfang August 2000 mit einem Freund zusammen oben auf dem Herðubreið. Der Sommer war damals sehr gut und sehr warm gewesen.
Aber acht Jahre ist auch eine lange Zeit - wer weiss wie es heute mit dem Aufstieg aussieht?
Vieles in meiner Beschreibung ist bereits schon gesagt worden...nichtsdestotrotz:
Wir starteten zu Fuss direkt bei der Herðubreiðarlindir, also am Campingplatz. Wir hatten damals erstens kein Auto und zweitens wussten wir gar nicht dass man zum Startplatz fahren kann. Am Abend vorher hatten wir uns bei den Huettenwarten erkundigt ob das ganze machbar sei: Ja, sei kein Poblem, Wetter sei prima (d.h. uebersetzt nur, es ist kein ausgesprochenes Sturmtief im Anmarsch), Helme und Seile nicht noetig, Eisaxt und Steigeisen ebenfalls nicht. Steinschlaggefahr? Normal. Und es seien in den letzten Tagen vier Gruppen oder so erfolgreich wiedergekommen. Zwei Dinge sollten wir jedoch unbedingt beachten:
Erstens bis zu der richtigen Aufstiegstelle gehen, nicht eher versuchen hoch zu gehen. Zweitens die Abstiegstelle oben am Rund sehr gut merken. Sei eine Falle.
Am Morgen folgten wir also den abgesteckten Weg vom Campingplatz rueber zur Herðubreið. Nach so 5 oder 6 Kilometer suchten wir etwas unruhig die Aufstiegsstelle. Wo ist sie? Noch weiter laufen? Und waren erfreut dass sie so gut markiert war, da war ploetzlich ein Parkplatz mit einem Auto und ein deutliches Schild. Wie gesagt, ueber den Parkplatz haben wir uns gewundert aber immerhin wussten wir nun, dass das die richtige Stelle ist. Tatsaechlich konnte man weiter oben einen deutlichen Serpentinenpfad im Geroell erkennen. Und da war auch eine Gruppe von drei Leuten. Noch weiter oben war der Felsrand mit einer Scharte zu erkennen. Dort ging es dann rauf auf die Plattform - woanders war an einen Aufstieg gar nicht zu denken.
Relativ spaet, ich weiss es nicht mehr genau, vielleicht 11 -12 Uhr begannen wir mit dem Aufstieg. Wir naeherten uns zu unserer Verwunderung sehr schnell der Gruppe. Dann bemerkten wir dass die Gruppe permanent Steine lostrat, die auf uns niederrollten. Es war fast unmoeglich sich noch weiter der Gruppe zu naehern. Sie ging aber viel zu langsam. Wir riefen und beschwerten uns aber es nutzte nichts. Der Hang wurde immer steiler so dass es immer gefaehrlicher mit den losgetretenen Steinen wurde. Schliesslich machte die Gruppe oben eine Pause. Unser einzige Chance vorbeizukommen. Es stellte sich heraus, dass es ein islaendischer Bergfuehrer mit einem franzoesischen Paerchen war. Sie seilten sich gerade an um durch die Scharte auf die obere Plattform des Tafelbergs zu kommen. Angesichts der Ungeschicklichkeit mit der das Paerchen Tonnen von Geroell den Berg herruntergetreten hatte beeindruckte uns das Anseilen nicht. Auch der Bergfuehrer machte keinerlei Anstalten uns abzuhalten. So gingen wir als erstes die Scharte hoch. Es sah einfach aus: In der Mitte auf dem kleinen Schneefeld hoch, dann ein bisschen Geroell, das wars. Leider war das kleine Schneefeld hoffnungslos vereist. Wir kamen da keinen Meter hoch. Schlimmer noch, das Schneefeld war wohl uralt, selbst als wir auf das Geroell am Rand auswichen geriet das ganze Geroell wegen dem darunterliegenden Eis ins Rutschen. Das unsichtbare Eis streckte sich sehr weit in der Scharte aus. Schliesslich suchten wir uns unseren Weg ganz links direkt an der Wand der Scharte hoch. Unangenehm, der kleinste Stein haette uns direkt auf den Kopf getroffen. Oder gerade nicht weil wir ja direkt an der Wand entlang schleichten. Ausserdem wussten wir wenn wir hier ins Rutschen geraten rutschen wir erst in die Mitte der Scharte und dort wartete das blanke Eis....
Immerhin war das Stueck relativ kurz und ploetzlich waren wir oben auf der runden Platform. Eine voellig andere Welt, Schneefelder, kleine vereiste Seen, kalter Wind. Eben noch voellig durchgeschwitzt in der windstillen Scharte fingen wir sofort an zu frieren. Wir konnten es uns nicht vorstellen unsere Wintersachen anzuziehen als wir sie einpackten aber nun war es bitter noetig. Der Rest der Besteigung war geradezu ein Kinderspiel: Auf den Gipfel zu stuermen und hoch. Ich habe selten so einen ausgesetzten Ort erlebt. Weit und breit kein anderer hoher Berg. Aussicht sagenhaft. Dann erblickten wir Wolken in der Ferne in unserer Hoehe die sich gemuetlich auf uns zu bewegten. Wir beschlossen den Rueckzug anzutreten. Schon lange als wir den eigentlichen Gipfel verlassen hatten trafen wir endlich die Gruppe mit dem Bergfuehrer. Zu diesem Zeitpunkt begann der Gipfel bereits im Nebel zu verschwinden. Unverdrossen setzte die Gruppe aber ihren Weg fort, der Bergfuehrer hatte GPS. Wir hatten kein GPS, ein Verhaengnis. Nach kurzer Zeit waren wir oben an der Scharte am Rand, nun sollte es wieder runter gehen. Aber irgendetwas stimmte nicht. War es das veraenderte Licht? Hier waren ueberall Steinmaennchen, aber war unseres dabei? Nach einigen Meter Abstieg stiessen wir auf eine senkrecht abstuerzende Wand. Wir waren in die Mausefalle gelaufen. Wir hatten nicht den richtigen Abstieg gefunden.
Wir kehrten um und stellten folgendes fest: Wir sind wirklich dumm. Extrem dumm. Hier sieht eine Scharte wie die andere aus. In einer Stunde oder weniger wird hier dickster Nebel sein. Und auf den Bergfuehrer warten? Bei dem Tempo der Gruppe wird wahrscheinlich schon der Nebel da sein. Wir wuerden die Gruppe im Nebel nicht finden koennen. Und zur Gruppe gehen? Wieder das Problem mit dem Nebel.
Wir beschlossen besonders klug zu sein und trennten uns: einer suchte rechts rum der andere links rum am Rand entlang. Ich musste lachen bei dem Gedanken dass wir uns auf der andere Seite des Kreises dann ja wieder treffen wuerden .... das Gehirn neigt in stressigen Situationen offenbar zu Humor. Ausserdem schien es mir besonders raffiniert bei Gefahr von Nebel sich auch noch zu trennen.
Ich hatte kein Glueck, die zwei naechsten Scharten waren auch nichts. Immerhin rueckte der Nebel nur sehr langsam naeher, offenbar eine Gnadenfrist fuer Dummkoepfe. Aber da rief und winkte mein Freund er haette die richtige gefunden. Es war nur eine Scharte weiter links. Und tatsaechlich da war unser Steinmaennchen - viel zu tief aufgebaut, nicht genuegend sichtbar. Ich war so erleichtert dass mir der eigentlich unangenehme Weg durch die Scharte - wieder entlang an der Wand - fast voellig egal war. Dann ging es problemlos den restlichen Weg runter. Wir hatten nicht einen einzigen Steinschlag vom Berg.
Unten angekommen war inzwischen die Platform nicht mehr zu sehen, sie war im dichten Nebel.
Wir liefen ausgesprochen langsam mit langen Pausen zum Zelt und waren erst um 22 Uhr oder so zurueck - der Auf- und Abstieg war doch sehr anstrengend.
Wir meldeten uns zurueck und berichteten auch von der Bergfuehrergruppe. Aber diese hatte sich selbst schon zurueckgemeldet und auch von uns berichtet mit der Aussage "sehr wahrscheinlich vor dem Nebel den Berg erfolgreich abgestiegen, nicht mehr angetroffen".
In den alten islaendischen Sagen ist von der Burg der Goetter die Rede mit einem Aufgang im Westen. Der einzige Aufgang zur Herðubreið liegt im Westen. Dieser Zusammenhang ist aber nicht von mir aufgedeckt worden
So oder so: Die Goetter meinten es gut mit uns.
viel Spass
Leon