Der gesamte Mai war durch die Lämmergeburten geprägt. Ein Lämmchen nach dem anderen drängte es auf die Welt und damit auf die Weide hinter dem Restaurant. Für unsere Gäste war das ganz faszinierend. Jeder wollte auf der Fensterseite, die zur Weide zeigt, sitzen und den Lämmern bei ihren ersten Schritten in der tollen isländischen Welt zusehen. War ja auch putzig, wenn sie ihre Bocksprünge vollführten. Nur fotografieren ließen sie sich nicht so gerne. Hier habe ich mal zwei erwischt:
Ich jedoch verbinde den Mai mit herbem Stallgeruch. Mein Chef ließ die Stallklamotten zwar immer draußen liegen, wenn er zum Essen kam, aber der „Duft“ ist ja doch sehr haftend und durchdringend und es war auch eher dieser Duft, der mein distanziertes Verhältnis zu Lammfleisch gedeihen ließ. Die Lämmer an sich hielten mich nicht davon ab, sie zu essen.
In dem Zusammenhang ist mir ein Erlebnis noch ganz lebhaft im Gedächtnis: Wir hatten eine französische Reisegruppe, die Lamm zu essen bekam. Allen hatte es geschmeckt, die Teller waren leer, die Gäste ruhig bzw. am Fenster „klebend“. Keine Ahnung, wer von denen auf die Idee kam, aber plötzlich stand Gísli mit einem lebenden, kleinen Lamm im Restaurant. Und alle haben es gestreichelt. Und Fotos gemacht. Lamm von vorne, Lamm von hinten, Lamm mit Fingern an den Ohren, Lamm ... Wir haben uns echt beäumelt und am liebsten hätte ich meine Kamera auch hereingeholt ... allerdings um die Szene zu fotografieren und nicht das Lamm

Wenn alle Lämmer geboren und groß genug sind, geht es üblicherweise hinaus in die Berge, auf in einen Sommer der Freiheit. Für unsere Schafe gilt das nicht so ganz, denn um die Ecke ist ne kleine Schlucht, da haben sie genug Auslauf. Außerdem lassen sie sich eh nicht durch Berge aufhalten und kaum hat man einmal weggeschaut, hängen sie an steilen Berghängen und sind ratzfatz obendrauf und dann auf und davon. Als auch ich eines Tages wieder auf die heiði hinter der Farm wollte, pflasterten jedoch Leichen meinen Weg. Drei tote Lämmchen fand ich im ersten Anlauf, zwei weitere fanden wir später noch. Die Todesursache haben wir nie herausgefunden, die Beisetzung fand in aller Stille, jedoch ohne mich statt.
Im Sommer war es dann wesentlich ruhiger. Nur ab und an kamen ein paar Schafe vorbei und der Geräuschpegel des Geblöke hatte wieder ein verträgliches Maß angenommen. Mein Sommer war durch die Pferde geprägt. Ich hatte während der Hochsaison ein Zimmer, das auf den Stall und einen Teil der Pferdekoppel hinausführte. Und so manche Nacht konnte ich nicht einschlafen, weil die Pferde so laut waren. Ich hätte nie gedacht, wie viel die sich kabbeln und „kloppen“. Und jedes Mal wenn ich sie dabei beobachtete, war mir klar, dass ich mich da nicht draufsetzen würde. Wer auch immer das Bild vom braven Pony geprägt hat ... ich habe große, wilde Pferde kennengelernt! Bis heute konnte ich dem Versuch entgehen, auf einem der Pferde zu sitzen; ich gebe aber zu, dass ich es bis zu meiner Abreise schon doch einmal wagen will.
Anfang September kam dann wieder Aufregung in die Region – die Heimkehr der Schafe aus den Bergen und das große Schafesortieren standen an. Dazu werde ich später noch einmal separat berichten, denn ich habe beim Sortieren der Schafe geholfen, was ein ganz eigenes Erlebnis ist. Bisher hatte ich immer gedacht, dass die Lämmer, wenn sie dann dick und fett aus den Bergen zurück sind, gleich geschlachtet werden. Aber nein. Sie dürfen auf den heimischen Weiden noch ein bisschen rumlaufen und noch dicker und fetter werden. Ich habe nicht mehr mitgezählt, wie oft die Männer der Umgebung noch in den Bergen waren, um Nachzügler einzufangen oder auf der heiði hier hinter den Farmen, um die Schafe wieder runter auf die Weide zu bugsieren. Nur einmal, als ich oben unterwegs war, wurde ich notgedrungen zum Helden des Tages, als ich nämlich einem Schaf, das schon mehr tot als lebendig auf der Seite lag und sich alleine nicht mehr rühren konnte, wieder auf die Beine half. Dass so etwas passiert (dass sie umkippen, sich nicht mehr bewegen können und dann zwangsläufig krepieren) wurde mir schon im Mai erzählt. Und nun hatte ich ein Schaf vor diesem Schicksal bewahrt und wir beide hatten während und nach der Aktion ganz viel Adrenalin im Körper und unsere Herzen pochten wild durcheinander, aber wir fühlten uns anschließend bestens!
Heute jedenfalls kam der große Viehtransporter, der auf dem „Achtung Tunierschweine“ steht, zum dritten Mal und hat die letzten der Lämmer, die den Winter nicht mehr kennenlernen werden, abgeholt und zum Schlachter gefahren. Das Ende eines Sommers. Schon bald gibt es frisches Lamm zu essen und im nächsten Frühjahr beginnt alles von vorne.