Meine erste Woche in Island ...
Meine erste Woche in Island ...
Um die Woche nicht nur im Auto zu verbringen, hatte ich mich auf den Abschnitt zwischen Reykjavik und Hvoll beschränkt. In der kurzen Zeit kam ich natürlich nicht über das "Standardprogramm" hinaus (Goldener Kreis, Skogar, Skaftafell, Vik, Jökulsarlon ...), wobei das alles zu Recht so bekannt ist - es war keine einzige Enttäuschung dabei (vom Wetter mal abgesehen). Ich will daher gar nicht von touristischen Geheimtipps erzählen sondern von meinen Erfahrungen mit der Reiseorganisation und dem Reiseverlauf. Oft zeigt sich die eigentliche Qualität eines Anbieters ja erst, wenn Probleme auftreten - davon gab es einige ... Den Empfehlungen hier im Forum folgend, hatte ich alles vorgebucht:
Flug: mit den "üblichen" Portalen machte ich ganz schlechte Erfahrungen. Mehrfach erschien erst nach der Angabe meiner gesamten Daten (inkl. Kreditkartennummer) der Hinweis "sorry, leider doch ausgebucht". Positiv überrascht war ich dagegen vom Internetauftritt von icelandair. Es werden sehr übersichtlich die Endpreise (!) für Hin- und Rückflüge zu verschiedenen Terminen angezeigt. Wenn man beim Termin etwas flexibel ist, hat man gute chancen, einen günstigen Flug zu erwischen.
Mietwagen: Mit den Portalen ähnlich schlechte Erfahrungen wie beim Flug, wobei oft gar nicht erst Islandangebote erschienen, sondern selbst nach mehrfacher Bestätigung "Ja, ich will wirklich nach Island" - immer noch (zugegebenermaßen extrem günstige) Angebote für Mietwägen in Mallorca angezeigt wurden. Bei den großen Anbietern direkt gab es - auf insgesamt sehr hohem Niveau - überraschend große Unterschiede (1 Woche, kleinste Kategorie zwischen 90.000 und 120.000 ISK). Ich habe mich letztlich für eine Buchung über das BB-Guesthaouse in Keflavik entschieden (das als Zwischenhändler fungiert), bei dem nach ein bißchen nachverhandeln 75.000 ISK für einen Toyata Yaris fällig wurden. Dazu später mehr ...
Unterkunft: Mischung aus B&B und Hostels, wobei ich mir nach 5 Tagen Etagenklos und Doppelstockbetten noch das Hilton Nordica in Reykjavik gönnen wollte (<100 €/Nacht - allerdings "advance purchase - no refund"-Tarif) über hotel.de: Das ist ein Portal, das etwas taugt!). Zu den Hostels: Da ich das letzte mal vor 20 Jahren in einer JH übernachtet habe, hatte ich natürlich vergessen, dass man Mitglied in der JH-organisation sein sollte und Bettwäsche mitbringen muss ... beide Versehen führten zu Aufschlägen von zusammen über 1000 ISK/Nacht (grrr).
Die ganze Bucherei war im März abgeschlossen, so dass ich mich danach in Ruhe zurücklehnen und die Vorfreude bis Juni steigern lassen konnte ... am Tag vor dem Abflug noch einmal die Flugzeiten geprüft: keine Änderungen - keine Probleme - alles klar. Am nächsten Tag sass ich schon auf den gepackten Koffern und wartete auf die Kinderbetreuung, als ich mehr aus Langeweile denn aus Vorsicht noch einmal meine e-mails checkte und dabei auf folgenden lapidaren Hinweis von icelandair stieß:
"Dear customer. Due to industrial action your flight from Berlín has been cancelled. For rebooking and further info please call +354 50 50 100 or visit Icelandair.com"
Es war schon 20:00 Uhr, bei der internationalen Hotline ging daher nur das Band dran und verwies mich in englisch und isländisch auf die Geschäftszeiten - bei der deutschen Hotline das gleiche auf deutsch mit isländischem Akzent. Am nächsten morgen erreichte ich pünktlich um 9:00 Uhr einen freundlichen Isländer mit dem schönen deutschen Namen "Frank", der mir mitteilte, dass ich bereits auf den morgigen Flug umgebucht worden sei. Da ich auch den Rückflug problemlos um zwei Tage verschieben konnte, willigte ich ein. Den Rest des Tages war ich mit Umbuchen der Unterkünfte und des Mietwagens beschäftigt ...
Reiseverlauf: Die erste Übernachtung hatte ich im BB-Guesthouse gebucht, u.a. weil hier ein Abholservice angeboten wird - die Verschiebung um 2 Tage hatte ich per e-mail abgeklärt. Passend zum holprigen Start der Reise war trotz pünktlicher Ankunft kein Abholer weit und breit zu sehen. Ein Handytelefonat später kam dann der Herbergsvater angerannt. Bereits auf der sehr kurzen Fahrt zur Unterkunft rief noch jemand bei ihm an, der vergeblich am Flughafen wartet ... Ankunft am Guesthouse: Koffer und Mitfahrer werden rausgeschmissen. Auf seine Frau an der Rezeption verweisend und uns ein "he is very upset" hinterherrufend, braust er schon wieder los. Seine Frau scheint in der Beziehung den ruhigen und ausgleichenden Part zu spielen, so dass die Eincheck-Formaliäten noch nicht abgeschlossen sind, als er zur Tür hereinstürmt, mir Autoschlüssel zuwirft, auf ein parkendes Auto zeigt und mit einem "follow me" schon wieder losfährt - wegen der kurzfristigen Umbuchung muss ich in einem anderen B&B untergebracht werden und darf gleich mit dem Mietwagen selbst hinfahren. Glücklicherweise ist es um diese Jahreszeit in Island auch um 1:00 Uhr Nachts noch hell, so dass ich den Lichtschalter im Auto nicht suchen muss und ihm gerade noch folgen kann ...
Die nächsten beiden Tage verliefen problemlos. Nach einer ausgiebigen Wanderung im abwechslungsreichen Skaftafell-Nationalpark zur Entspannung noch kurz in den Info-Center: Bestaunen der rostigen Ausrüstungsüberreste eines unvorsichtigen britischen Gletscherwanderers, Kauf eines süssen rosa Papageientaucher-T-Shirts für unsere Kleinste. Als ich losfahren will tut sich nichts - der Toyota bleibt stumm. Da ich eine absolute Technik-Null bin, gerate ich zum ersten mal in den letzten Tagen in Panik. Erinnerungsfetzen tauchen auf (Wie ich als Kind lieber mit Puppen als mit der Carrera-Bahn spielte, wie ich beim Einbau einer Weiche in die Märklin-Eisenbahn scheiterte, wie ich den Ölmessstab in meinem ersten Auto nicht finden konnte, und - um mir selbst die Peinlichkeit zu ersparen - verzweifelt meine Frau bitten musste, bei einer Tankstelle um Rat zu fragen), danach schreckliche Zukunftsvisionen (Reste des Toyotas werden mit einem hämischen Begleitkommentar im Info-Center neben dem toten Briten ausgestellt). Als ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann, frage ich einen Info-Center-Mitarbeiter um Hilfe. Er rückt mit einem islandtypischen Geländewagenungeheuer und einem Überbrückungskabel an. Leider bleibt der Toyota weiterhin leblos. An dem Geländewagen kann es eigentlich nicht liegen, dessen Batterie den Eindruck vermittelt, als könnte sie die Stromversorgung einer mittelgroßen Isländischen Stadt sicherstellen. Da gesellt sich ein durchtrainierter Autofreak hinzu, der sofort das Überbrückungskabel als Schwachstelle identifiziert und in Sekundenschnelle ein Profikabel organisiert. Der Toyota bleibt aber hartnäckig arbeitsunwillig. Da hilft nur noch eines: Der Chef muss selbst ran. Der Autofreak setzt sich an das Steuer und - der Wagen springt sofort an. Immerhin kann er nicht genau sagen, woran es gelegen hat und gibt allgemein "all this computer stuff" in den "japanese toy cars" die Schuld.
Ohne Rast geht es weiter zum gebuchten B&B. Da ich in einem Nebenhaus untergebracht bin, versuche ich nach dem Einchecken mit dem Auto hinzufahren - es bleibt bei dem Versuch. Die 1500seitige Bedienungsanleitung gibt leider nicht viel her - ich rufe beim BB-guesthouse an, die der Mietwagenfirma Bescheid geben. Tatsächlich kriege ich keine 5 minuten später einen Anruf (Samstags um 21:00 Uhr!). Ich werde darauf hingewiesen, dass der Toyota nur bei durchgedrückter Kupplung anspringt. Mit diesem Wissen ausgerüstet versuche ich es nochmal ohne Erfolg. Das Fazit des Autofreaks mit einbeziehend verstelle ich wahllos ein paar Schalter und versuche es noch ein paarmal, bis der Wagen irgendwann endlich anspringt. Am nächsten Tag keine Besserung - jedes mal brauche ich 5-10 Startversuche. Am Abend wieder ein Anruf bei der Mietwagenfirma ... wie vereinbart steht am nächsten morgen pünktlich um 9 der Toyota-Techniker vor der Tür, der die Fehleranalyse mit einem Gerät durchführt, das ähnlich aussieht wie der Multifunktionsdiagnostor mit dem "Pille" McCoy Opfer von Alienangriffen untersucht ("Er ist tot, Jim"). Nach kurzer Prüfung zieht der Techniker die Fußmatte etwa 5 cm nach hinten, dadurch lässt sich die Kupplung wenige Millimeter weiter durchdrücken und das Auto springt die restlichen Tage freudig beim ersten Versuch an. Meine Gefühle schwanken zwischen "Dem Techniker um den Hals fallen" und "Einen Baseballschläger besorgen und den Wagen zu Brei schlagen". Der Techniker scheint eher zu vermuten, dass ich wegen meiner Dämlichkeit mir selbst etwas antun könnte und will mich mit dem Hinweis trösten, dass ich nicht der erste sei, dem dies passiere.
Die restlichen Tage verliefen wieder problemlos, sogar das Wetter wurde besser und ich konnte mich wieder voll auf die fantastische Landschaft konzentrieren. Einen weiteren Tag mit schlechtem Wetter konnte ich für einen ausführlichen Bummel durch Reykjavik nutzen, das natürlich eher durch nordische Exotik und Skurrilität als durch Schönheit überzeugt. O.k., seien wir ehrlich: Die Stadt ist unfassbar hässlich. Die Innenstadt wirkt auf den ersten Blick wie das Zentrum einer besonders verschlafenen deutschen Kleinstadt, der Rest wie ein Industriegebiet. Die Uferpromendade wird durch eine 4spurige stadtautobahn verschandelt, der eh schon sterile Stadtsee wird seit neuestem durch ein unfertig wirkendes Rathaus in Betonrohbauweise gekrönt. Die wenigen Kirchen und "repräsentativen" Gebäude wirken kleiner als die schon erwähnten Geländewagenmonster, die hier in großer Zahl die Strassen unsicher machen. Die Hallgrimskirkja natürlich ausgenommen: Wenn Ikea Krchenbausätze verkaufen würde, käme so etwas raus wie diese Kirche - akzeptables Design bei einfachster Machart.
Dennoch kann ich einen Reykjavik-Bummel nur empfehlen - einfach rumzulaufen und sich überraschen lassen:
- In unmöglichsten Farben bemalte Wellblechhütten, aus denen einem Gartenzwerge entgegenstrahlen und in denen gaga-Mode verkauft wird.
- Reykjavikerinnen, die grob gestrickte Wollüberwürfe mit Miniröcken kombinieren und sich bei der Farbgestaltung von den Wellblechhütten inspirieren lassen
- In eine Horde pensionierter GIs zu geraten, die alle aussehen wie Mickey Rourke in "The Wrestler" und sie über das Treffen Gorbatschow/Reagan in Reykjavik schwadronieren zu hören, wäre natürlich in jeder Stadt ein Ereignis. In Reykjavik hat man aber zusätzlich die Chance, das im durch Erdwärme geheizten Außenbecken eines Schwimmbades bei 9 Grad Außentemperatur und Nieselregen im Hochsommer zu erleben.
- Eine Fotoausstellung in einem Reykjaviker Einkaufszentrum mit echten Schockfotos. "Höhepunkt" war ein Bild aus Haiti nach dem Erdbeben: Eine Kinderleiche wird gerade in ein Massengrab geworfen; der Fotograf hat dabei genau den Höhepunkt der Parabelkurve erwischt, den der verkohlte Körper im Flug beschrieb (und wahrscheinlich deshalb irgendeinen Fotopreis dafür gewonnen).
- Möwenschwärme, die Gebäude und Geschäfte belagern, als wollten Sie sich für ein Remake von "Die Vögel" bewerben.
- Gibt es heutzutage eigentlich noch Restaurants, bei denen man im hauseigenen Aquarium den Fisch auswählen kann, der zum Hauptgang serviert wird? Egal - in Reykjavik kann man das gleiche in einer Art Maxi-Menü-Variante durchspielen: Morgens Whale-Watching, mittags Whale-Eating.
- Übrigens: McDonalds hat sich nach der Finanzkrise aus Island zurückgezogen; das trägt auch dazu bei, dass die Fußgängerzone in Reykjavik nicht so austauschbar aussieht wie in vielen anderen europäischen Städten.
- Ein versiffter Hinterhof gibt den Blick frei auf das Hauptgebäude in Mehrfamilienhausgröße der Landsbanki - jeder, der das gesehen hat, würde nie und nimmer auf die Idee kommen, bei einer isländischen Bank Geld anzulegen.
Wie gesagt: es war schlechtes Wetter - so spektakulär, dass es sich lohnen würde, einen schönen Tag zu opfern, war es auch wieder nicht. A propos Wetter: Klar kann man nicht 7 Tage Sonnenschein erwarten. Aber mehr als 3h Sonnenschein (großzügig gerechnet) in den ersten 5 Tagen inkl. 2 Tage Dauerregen hätte ich schon erhofft. Schön zusammengefasst hat es Hallgrimur Helgason in "Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen": "Der isländische Sommer ist wie ein Kühlschrank, den man sechs Wochen offen lässt. Das Licht ist die ganze Zeit an und das Gefrierfach taut, aber richtig warm wird es nie." Wenn man einen robusten Humor hat ist zumindest die erste Hälfte des Buches zu empfehlen, danach flacht es doch stark ab. Uneingeschränkt zu empfehlen ist dagegen "Liebe Isländer" von Huldar Breidfjörd. Erzählt wird die Geschichte eines frustrierten (und etwas wehleidigen) Reykjavikers, der mitten im isländischen Winter zu einer mehrwöchigen Reise um die Ringstrasse mit einem Volvo-Lappländer aufbricht. Ich fand das Buch alleine schon deswegen klasse, weil die Probleme mit meinem Mietwagen vollkommen verblassen gegenüber dem, was mit dem Volvo alles passiert.
Theo
Flug: mit den "üblichen" Portalen machte ich ganz schlechte Erfahrungen. Mehrfach erschien erst nach der Angabe meiner gesamten Daten (inkl. Kreditkartennummer) der Hinweis "sorry, leider doch ausgebucht". Positiv überrascht war ich dagegen vom Internetauftritt von icelandair. Es werden sehr übersichtlich die Endpreise (!) für Hin- und Rückflüge zu verschiedenen Terminen angezeigt. Wenn man beim Termin etwas flexibel ist, hat man gute chancen, einen günstigen Flug zu erwischen.
Mietwagen: Mit den Portalen ähnlich schlechte Erfahrungen wie beim Flug, wobei oft gar nicht erst Islandangebote erschienen, sondern selbst nach mehrfacher Bestätigung "Ja, ich will wirklich nach Island" - immer noch (zugegebenermaßen extrem günstige) Angebote für Mietwägen in Mallorca angezeigt wurden. Bei den großen Anbietern direkt gab es - auf insgesamt sehr hohem Niveau - überraschend große Unterschiede (1 Woche, kleinste Kategorie zwischen 90.000 und 120.000 ISK). Ich habe mich letztlich für eine Buchung über das BB-Guesthaouse in Keflavik entschieden (das als Zwischenhändler fungiert), bei dem nach ein bißchen nachverhandeln 75.000 ISK für einen Toyata Yaris fällig wurden. Dazu später mehr ...
Unterkunft: Mischung aus B&B und Hostels, wobei ich mir nach 5 Tagen Etagenklos und Doppelstockbetten noch das Hilton Nordica in Reykjavik gönnen wollte (<100 €/Nacht - allerdings "advance purchase - no refund"-Tarif) über hotel.de: Das ist ein Portal, das etwas taugt!). Zu den Hostels: Da ich das letzte mal vor 20 Jahren in einer JH übernachtet habe, hatte ich natürlich vergessen, dass man Mitglied in der JH-organisation sein sollte und Bettwäsche mitbringen muss ... beide Versehen führten zu Aufschlägen von zusammen über 1000 ISK/Nacht (grrr).
Die ganze Bucherei war im März abgeschlossen, so dass ich mich danach in Ruhe zurücklehnen und die Vorfreude bis Juni steigern lassen konnte ... am Tag vor dem Abflug noch einmal die Flugzeiten geprüft: keine Änderungen - keine Probleme - alles klar. Am nächsten Tag sass ich schon auf den gepackten Koffern und wartete auf die Kinderbetreuung, als ich mehr aus Langeweile denn aus Vorsicht noch einmal meine e-mails checkte und dabei auf folgenden lapidaren Hinweis von icelandair stieß:
"Dear customer. Due to industrial action your flight from Berlín has been cancelled. For rebooking and further info please call +354 50 50 100 or visit Icelandair.com"
Es war schon 20:00 Uhr, bei der internationalen Hotline ging daher nur das Band dran und verwies mich in englisch und isländisch auf die Geschäftszeiten - bei der deutschen Hotline das gleiche auf deutsch mit isländischem Akzent. Am nächsten morgen erreichte ich pünktlich um 9:00 Uhr einen freundlichen Isländer mit dem schönen deutschen Namen "Frank", der mir mitteilte, dass ich bereits auf den morgigen Flug umgebucht worden sei. Da ich auch den Rückflug problemlos um zwei Tage verschieben konnte, willigte ich ein. Den Rest des Tages war ich mit Umbuchen der Unterkünfte und des Mietwagens beschäftigt ...
Reiseverlauf: Die erste Übernachtung hatte ich im BB-Guesthouse gebucht, u.a. weil hier ein Abholservice angeboten wird - die Verschiebung um 2 Tage hatte ich per e-mail abgeklärt. Passend zum holprigen Start der Reise war trotz pünktlicher Ankunft kein Abholer weit und breit zu sehen. Ein Handytelefonat später kam dann der Herbergsvater angerannt. Bereits auf der sehr kurzen Fahrt zur Unterkunft rief noch jemand bei ihm an, der vergeblich am Flughafen wartet ... Ankunft am Guesthouse: Koffer und Mitfahrer werden rausgeschmissen. Auf seine Frau an der Rezeption verweisend und uns ein "he is very upset" hinterherrufend, braust er schon wieder los. Seine Frau scheint in der Beziehung den ruhigen und ausgleichenden Part zu spielen, so dass die Eincheck-Formaliäten noch nicht abgeschlossen sind, als er zur Tür hereinstürmt, mir Autoschlüssel zuwirft, auf ein parkendes Auto zeigt und mit einem "follow me" schon wieder losfährt - wegen der kurzfristigen Umbuchung muss ich in einem anderen B&B untergebracht werden und darf gleich mit dem Mietwagen selbst hinfahren. Glücklicherweise ist es um diese Jahreszeit in Island auch um 1:00 Uhr Nachts noch hell, so dass ich den Lichtschalter im Auto nicht suchen muss und ihm gerade noch folgen kann ...
Die nächsten beiden Tage verliefen problemlos. Nach einer ausgiebigen Wanderung im abwechslungsreichen Skaftafell-Nationalpark zur Entspannung noch kurz in den Info-Center: Bestaunen der rostigen Ausrüstungsüberreste eines unvorsichtigen britischen Gletscherwanderers, Kauf eines süssen rosa Papageientaucher-T-Shirts für unsere Kleinste. Als ich losfahren will tut sich nichts - der Toyota bleibt stumm. Da ich eine absolute Technik-Null bin, gerate ich zum ersten mal in den letzten Tagen in Panik. Erinnerungsfetzen tauchen auf (Wie ich als Kind lieber mit Puppen als mit der Carrera-Bahn spielte, wie ich beim Einbau einer Weiche in die Märklin-Eisenbahn scheiterte, wie ich den Ölmessstab in meinem ersten Auto nicht finden konnte, und - um mir selbst die Peinlichkeit zu ersparen - verzweifelt meine Frau bitten musste, bei einer Tankstelle um Rat zu fragen), danach schreckliche Zukunftsvisionen (Reste des Toyotas werden mit einem hämischen Begleitkommentar im Info-Center neben dem toten Briten ausgestellt). Als ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann, frage ich einen Info-Center-Mitarbeiter um Hilfe. Er rückt mit einem islandtypischen Geländewagenungeheuer und einem Überbrückungskabel an. Leider bleibt der Toyota weiterhin leblos. An dem Geländewagen kann es eigentlich nicht liegen, dessen Batterie den Eindruck vermittelt, als könnte sie die Stromversorgung einer mittelgroßen Isländischen Stadt sicherstellen. Da gesellt sich ein durchtrainierter Autofreak hinzu, der sofort das Überbrückungskabel als Schwachstelle identifiziert und in Sekundenschnelle ein Profikabel organisiert. Der Toyota bleibt aber hartnäckig arbeitsunwillig. Da hilft nur noch eines: Der Chef muss selbst ran. Der Autofreak setzt sich an das Steuer und - der Wagen springt sofort an. Immerhin kann er nicht genau sagen, woran es gelegen hat und gibt allgemein "all this computer stuff" in den "japanese toy cars" die Schuld.
Ohne Rast geht es weiter zum gebuchten B&B. Da ich in einem Nebenhaus untergebracht bin, versuche ich nach dem Einchecken mit dem Auto hinzufahren - es bleibt bei dem Versuch. Die 1500seitige Bedienungsanleitung gibt leider nicht viel her - ich rufe beim BB-guesthouse an, die der Mietwagenfirma Bescheid geben. Tatsächlich kriege ich keine 5 minuten später einen Anruf (Samstags um 21:00 Uhr!). Ich werde darauf hingewiesen, dass der Toyota nur bei durchgedrückter Kupplung anspringt. Mit diesem Wissen ausgerüstet versuche ich es nochmal ohne Erfolg. Das Fazit des Autofreaks mit einbeziehend verstelle ich wahllos ein paar Schalter und versuche es noch ein paarmal, bis der Wagen irgendwann endlich anspringt. Am nächsten Tag keine Besserung - jedes mal brauche ich 5-10 Startversuche. Am Abend wieder ein Anruf bei der Mietwagenfirma ... wie vereinbart steht am nächsten morgen pünktlich um 9 der Toyota-Techniker vor der Tür, der die Fehleranalyse mit einem Gerät durchführt, das ähnlich aussieht wie der Multifunktionsdiagnostor mit dem "Pille" McCoy Opfer von Alienangriffen untersucht ("Er ist tot, Jim"). Nach kurzer Prüfung zieht der Techniker die Fußmatte etwa 5 cm nach hinten, dadurch lässt sich die Kupplung wenige Millimeter weiter durchdrücken und das Auto springt die restlichen Tage freudig beim ersten Versuch an. Meine Gefühle schwanken zwischen "Dem Techniker um den Hals fallen" und "Einen Baseballschläger besorgen und den Wagen zu Brei schlagen". Der Techniker scheint eher zu vermuten, dass ich wegen meiner Dämlichkeit mir selbst etwas antun könnte und will mich mit dem Hinweis trösten, dass ich nicht der erste sei, dem dies passiere.
Die restlichen Tage verliefen wieder problemlos, sogar das Wetter wurde besser und ich konnte mich wieder voll auf die fantastische Landschaft konzentrieren. Einen weiteren Tag mit schlechtem Wetter konnte ich für einen ausführlichen Bummel durch Reykjavik nutzen, das natürlich eher durch nordische Exotik und Skurrilität als durch Schönheit überzeugt. O.k., seien wir ehrlich: Die Stadt ist unfassbar hässlich. Die Innenstadt wirkt auf den ersten Blick wie das Zentrum einer besonders verschlafenen deutschen Kleinstadt, der Rest wie ein Industriegebiet. Die Uferpromendade wird durch eine 4spurige stadtautobahn verschandelt, der eh schon sterile Stadtsee wird seit neuestem durch ein unfertig wirkendes Rathaus in Betonrohbauweise gekrönt. Die wenigen Kirchen und "repräsentativen" Gebäude wirken kleiner als die schon erwähnten Geländewagenmonster, die hier in großer Zahl die Strassen unsicher machen. Die Hallgrimskirkja natürlich ausgenommen: Wenn Ikea Krchenbausätze verkaufen würde, käme so etwas raus wie diese Kirche - akzeptables Design bei einfachster Machart.
Dennoch kann ich einen Reykjavik-Bummel nur empfehlen - einfach rumzulaufen und sich überraschen lassen:
- In unmöglichsten Farben bemalte Wellblechhütten, aus denen einem Gartenzwerge entgegenstrahlen und in denen gaga-Mode verkauft wird.
- Reykjavikerinnen, die grob gestrickte Wollüberwürfe mit Miniröcken kombinieren und sich bei der Farbgestaltung von den Wellblechhütten inspirieren lassen
- In eine Horde pensionierter GIs zu geraten, die alle aussehen wie Mickey Rourke in "The Wrestler" und sie über das Treffen Gorbatschow/Reagan in Reykjavik schwadronieren zu hören, wäre natürlich in jeder Stadt ein Ereignis. In Reykjavik hat man aber zusätzlich die Chance, das im durch Erdwärme geheizten Außenbecken eines Schwimmbades bei 9 Grad Außentemperatur und Nieselregen im Hochsommer zu erleben.
- Eine Fotoausstellung in einem Reykjaviker Einkaufszentrum mit echten Schockfotos. "Höhepunkt" war ein Bild aus Haiti nach dem Erdbeben: Eine Kinderleiche wird gerade in ein Massengrab geworfen; der Fotograf hat dabei genau den Höhepunkt der Parabelkurve erwischt, den der verkohlte Körper im Flug beschrieb (und wahrscheinlich deshalb irgendeinen Fotopreis dafür gewonnen).
- Möwenschwärme, die Gebäude und Geschäfte belagern, als wollten Sie sich für ein Remake von "Die Vögel" bewerben.
- Gibt es heutzutage eigentlich noch Restaurants, bei denen man im hauseigenen Aquarium den Fisch auswählen kann, der zum Hauptgang serviert wird? Egal - in Reykjavik kann man das gleiche in einer Art Maxi-Menü-Variante durchspielen: Morgens Whale-Watching, mittags Whale-Eating.
- Übrigens: McDonalds hat sich nach der Finanzkrise aus Island zurückgezogen; das trägt auch dazu bei, dass die Fußgängerzone in Reykjavik nicht so austauschbar aussieht wie in vielen anderen europäischen Städten.
- Ein versiffter Hinterhof gibt den Blick frei auf das Hauptgebäude in Mehrfamilienhausgröße der Landsbanki - jeder, der das gesehen hat, würde nie und nimmer auf die Idee kommen, bei einer isländischen Bank Geld anzulegen.
Wie gesagt: es war schlechtes Wetter - so spektakulär, dass es sich lohnen würde, einen schönen Tag zu opfern, war es auch wieder nicht. A propos Wetter: Klar kann man nicht 7 Tage Sonnenschein erwarten. Aber mehr als 3h Sonnenschein (großzügig gerechnet) in den ersten 5 Tagen inkl. 2 Tage Dauerregen hätte ich schon erhofft. Schön zusammengefasst hat es Hallgrimur Helgason in "Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen": "Der isländische Sommer ist wie ein Kühlschrank, den man sechs Wochen offen lässt. Das Licht ist die ganze Zeit an und das Gefrierfach taut, aber richtig warm wird es nie." Wenn man einen robusten Humor hat ist zumindest die erste Hälfte des Buches zu empfehlen, danach flacht es doch stark ab. Uneingeschränkt zu empfehlen ist dagegen "Liebe Isländer" von Huldar Breidfjörd. Erzählt wird die Geschichte eines frustrierten (und etwas wehleidigen) Reykjavikers, der mitten im isländischen Winter zu einer mehrwöchigen Reise um die Ringstrasse mit einem Volvo-Lappländer aufbricht. Ich fand das Buch alleine schon deswegen klasse, weil die Probleme mit meinem Mietwagen vollkommen verblassen gegenüber dem, was mit dem Volvo alles passiert.
Theo
Re: Meine erste Woche in Island ...
Hallo Theo,
vielen Dank für Deinen unterhaltsamen Bericht!
Schade nur dass mit dem Wetter ...
Ebenfalls schon mit halbem Reifen in der Werkstatt erhielten wir den Tipp Fußmatte glücklicherweise noch beim ersten Telefonat mit der Mietwagenfirma. (Die übrigens 1 Jahr später einen entsprechenden Hinweis auf die Sonnenblenden ihrer Wagen klebte.)
Nein Du bist sicher längst nicht der einzige der auf die Toyota Fußmatten reingefallen ist.
Grüße, Jutta
vielen Dank für Deinen unterhaltsamen Bericht!
Schade nur dass mit dem Wetter ...
Oh ja, ich kann mich noch sehr gut erinnern. Auch eine Freundin und ich sind "Opfer" des Toyota Fußmattenproblems geworden. Unser Yaris stellte sich allerdings ausgerechnet tot als der Motor beim Wenden auf einem nummernlosen Jeep Track auf Snaefellsnes, den wir wenige hundert Meter zuvor versehentlich genommen hatten, aus ging. Unsere Glück war dass 50 Meter entfernt zwei Isländische Papas mit ihren Söhnen in der Lava campierten und sofort sehr hilfsbereit herbeieilten. (Die einzigen Menschenseelen weit und breit). Ebenfalls völlig ratlos ob des Problems. Der Blick unter die Motorhaube entlockte nur ein "seem's to be brand new" (stimmt, hatte grad mal 1000 km drauf). Sie haben ihn uns dann mit Anschieben angelassen.Theo hat geschrieben:dass ich nicht der erste sei, dem dies passiere.
Ebenfalls schon mit halbem Reifen in der Werkstatt erhielten wir den Tipp Fußmatte glücklicherweise noch beim ersten Telefonat mit der Mietwagenfirma. (Die übrigens 1 Jahr später einen entsprechenden Hinweis auf die Sonnenblenden ihrer Wagen klebte.)
Nein Du bist sicher längst nicht der einzige der auf die Toyota Fußmatten reingefallen ist.
Grüße, Jutta
Re: Meine erste Woche in Island ...
Sehr lustig dein Bericht! Bin auch gerade von 2 Wochen Wanderreise zurück. Wenn Engel reisen haben sie so ein Wetter wie wir hatten im Osten und Norden, nämlich gutes!! Mittagspicknick im Freien an 12 von 15 Tagen und kaum Regen nur ein bisschen Niesel an 3 Tagen zwischendurch. Ja, so kann es auch sein in Island und mit unserem isl. Reiseunternehmen waren wir top zufrieden.
Film folgt irgendwann in den nächsten Wochen.
Gruß Ulla
Film folgt irgendwann in den nächsten Wochen.
Gruß Ulla
Re: Meine erste Woche in Island ...
Hallo Theo,
ein Bericht zum Schmunzeln.... Danke.
@Ulla
Du hattest ganz bestimmt nur deshalb gutes Wetter, weil ich dafür die ganze Zeit die Daumen gehalten habe.
LG
Steirer
ein Bericht zum Schmunzeln.... Danke.
@Ulla
Du hattest ganz bestimmt nur deshalb gutes Wetter, weil ich dafür die ganze Zeit die Daumen gehalten habe.
LG
Steirer
Re: Meine erste Woche in Island ...
Hallo Theo,
danke für deinen amüsanten Bericht. Ich teile zwar deine Meinung zu Reykjavík nicht, aber ich finde es schön, daß dir den Widrigkeiten zum Trotz dein Urlaub gefallen zu haben scheint. Das Wagenanlassproblem hätte mich vermutlich halb in der Wahnsinn getrieben, ich bin froh, daß mir das mit dem Yaris erspart geblieben ist in der Vergangenheit.
danke für deinen amüsanten Bericht. Ich teile zwar deine Meinung zu Reykjavík nicht, aber ich finde es schön, daß dir den Widrigkeiten zum Trotz dein Urlaub gefallen zu haben scheint. Das Wagenanlassproblem hätte mich vermutlich halb in der Wahnsinn getrieben, ich bin froh, daß mir das mit dem Yaris erspart geblieben ist in der Vergangenheit.
-
- Svartifoss-Fischer
- Beiträge: 10
- Registriert: Di 12. Jul 2011, 15:04
Re: Meine erste Woche in Island ...
Hallo Theo,
danke für den mehr als lesenswerten, netten Bericht. Ich werd Anfang September das erste Mal in Island, vorwiegend allerdings im Norden, unterwegs sein. Vielleicht gibt es beim Wetter dann wenigstens einen trockeneren und sonnigeren Ausgleich für den ja doch wohl etwas ungemütlicheren Sommer. Einen Yaris haben wir uns auch gemietet, mal sehen ob ich meine Freundin bei Gelegenheit mit dem Fußmatten-Trick beeindrucken kann.
Grüße
Sauerländer
danke für den mehr als lesenswerten, netten Bericht. Ich werd Anfang September das erste Mal in Island, vorwiegend allerdings im Norden, unterwegs sein. Vielleicht gibt es beim Wetter dann wenigstens einen trockeneren und sonnigeren Ausgleich für den ja doch wohl etwas ungemütlicheren Sommer. Einen Yaris haben wir uns auch gemietet, mal sehen ob ich meine Freundin bei Gelegenheit mit dem Fußmatten-Trick beeindrucken kann.
Grüße
Sauerländer
Wer ist online?
Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 0 Gäste