Folgenden Bericht veröffentliche ich im Namen von Birgit Abrecht. Sie hat mir dankenswerter Weise diese Ausführungen zukommen gelassen. Birgit Abrecht ist auch Autorin des "Architekturführer Island" (DVA, 2000):
Angekommen
Zugegeben, es ist nicht leicht das Erlebte aufzuschreiben- immer wieder geht der Blick über der Ísafjarðardjúp zu den Bergen von Hornstrandir. Noch immer kann ich es kaum fassen, was sich damals während unseres Islandsommers 2000 ereignete: Nachdem mein Mann und ich seit 15 Jahren zunächst zu zweit, später auch mit unserem älteren Sohn ständige Gäste in Island waren, reisten wir im Sommer 2000 zum ersten Mal mit allen unseren 3 Kindern zu unseren Freunden nach Ísafjörður. Seit unserer Hochzeit in Island im Jahr 1989 hatten uns die Westfjorde nicht mehr losgelassen: nach einer 4-wöchigen Flitterwochenwanderung in Hornstrandir waren sie unsere 2. Heimat geworden.
Natürlich waren wir sehr gespannt, ob es Leon, Britt und Magnus (damals 8,6 und 3 Jahre alt) hier auch gefallen würde. Doch kaum waren wir angekommen fühlten sie sich wie zu Hause. Zugleich war dieser Sommer für mich der Abschluss einer zweijährigen Zusammenarbeit mit dem isländischen Verlag Mál og menning. Im August 2000 erschien mein Buch "Architekturführer Island und ich durfte im Edinborgarhúsið in Ísafjörður über die Besonderheiten der isländischen Architektur referieren.
Nachdem sich die Kinder hier offensichtlich genau so wohl fühlten wie wir machten wir uns auf die Suche nach einer Ferienwohnung, die wir im nächsten Jahr mieten wollten um mit unserer großen Familie während der Schulferien hier zu leben. Aus diesem Grund besuchten wir den Bürgermeister und hofften auf ein Ferienhäuschen in einem Lawinengebiet, das nur im Sommer bewohnt werden darf. Doch er musste uns diesbezüglich enttäuschen, die Stadt hatte keine Ferienwohnungen zu vermieten. Jedoch - er schlug uns etwas anderes vor: Im Nachbarort Hnífsdalur stand ein Haus zum Abbruch bereit, die Eigentümer waren weggezogen und die Stadt als jetzige Eigentümerin musste nun das immer mehr verwahrlosende Gebäude abreißen lassen. Das wäre eventuell etwas für uns, meinte er, als Architektin könnte ich es doch sicher wieder in Schwung bringen!
Noch am selben Tag fuhren wir mit unseren Freunden nach Hnífsdalur, einen kleinen Ort an der Strasse zwischen Ísafjörður und Bolungarvík. Wir konnten es kaum fassen, als wir in die Straße einbogen: Das Haus stand direkt am Meer und hatte einen herrlichen Blick nach Hornstrandir und Snaefjallaströnd. Die Lage war fantastisch- doch das Haus?
Die eingeschlagenen Fensterscheiben ließen nichts Gutes ahnen, und als wir uns innen umschauten zeigten sich aufgrund dessen doch einige Feuchtigkeitsschäden am Boden. Bei genauerem Hinsehen jedoch stellte sich heraus, dass die Konstruktion selbst davon nicht betroffen war. Auch die Außenwände aus Beton waren nicht beschädigt. Über dem Eingang entdeckten wir das Baujahr 1912, es handelte sich also um eines der frühen Betongebäude in Island. Was die Initialen H.K. bedeuten, die bei dem Baujahr standen, erläuterte uns später die Nachbarin. Ihr Onkel Henrik Kristjánsson hatte das Haus im Jahr 1912 gebaut, und auch sie hatte eine Zeitlang darin gewohnt.
Es war Liebe auf den ersten Blick, und kaum hatten wir das Haus betreten waren wir schon mitten in der Planung: wir überlegten, welche Renovierungsmaßnahmen in dieser Bruchbude wie die Kinder das Haus am Meer liebevoll nannten, durchgeführt werden müßten. Unsere Freunde, die ein Baugeschäft in Ísafjörður hatten, waren genauso angetan und boten uns ihre Unterstützung an. Die Renovierungsarbeiten wären also kein Problem, doch die wichtigste Fragen war noch offen: Können wir das Haus als Nicht-Isländer kaufen und was verlangt die Stadt dafür ? Als wir - zurück im Rathaus - dem Bürgermeister unsere Fragen stellten klärte er uns über das übliche Procedere auf: Zunächst macht er den Abrissbeschluß rückgängig, danach bietet die Stadt das Haus mit dem Grundstück im Stadtanzeiger zum Verkauf an und daraufhin können sich die Interessenten mit einem Angebot darum bewerben.
3 Monate später, im November 2000, saß ich wieder bei Halldor im Rathaus Ísafjörður. Außer uns hatte sich, wie vermutet, niemand beworben und so durfte ich mit einer einjährigen Aufenthaltserlaubnis in Island in der Tasche und nach Klärung aller Details den Kaufvertrag zu einem eher symbolischen Preis unterzeichnen. Auf diese Weise konnten wir die notwendigen Renovierungsarbeiten finanzieren. Wir hatten beide Grund zur Freude: Die Stadt konnte dadurch ein Haus vor dem Abbruch retten und wir festigten unsere Wurzeln in Island!
Mit Hilfe unserer Freunde begannen wir gleich damit, die Öffnungen vor Wintereinbruch zu verschließen und das Gebäude zu entrümpeln. Ein Abfallcontainer reichte kaum aus, um die alten Bodenbeläge, die Reste des Badezimmers und die Wandbekleidungen aufzunehmen.
Wie befürchtet waren ein Teil des Holzbodens, der unter dem Teppichboden auftauchte, durch Wind und Wetter ziemlich beschädigt und mußten ausgetauscht werden. Doch wir hatten auch Glück; unter den Wandbekleidungen, die mit einer 1 cm dicken Wärmedämmung die Innenwände etwas behaglicher machen sollten, kamen die Original - Holzpaneele aus dem Jahr 1912 zum Vorschein.
Da die Fenster nicht zu erhalten waren überlegten wir uns zusammen mit einem Glaser neue Fenster im ursprünglichen Stil und mit Wärmeschutzverglasung. Da in dem Haus bereits eine Badezimmerinstallation vorhanden war mußten wir lediglich die Sanitärobjekte ersetzen.
Die vorhandene Ölheizung älteren Modells entfernten wir einschließlich der verrosteten Heizrohre und Heizkörper und installierten Elektro-Heizkörper als Einzelraumheizung die wir, anders als in Deutschland, in Island aufgrund der regenerativen Energie aus Wasserkraft guten Gewissens verwenden konnten. Anstelle der Wärmedämmung von innen packten wir ein 10 cm dickes Wärmedämmverbundsystem von außen auf die verputzten Betonwände, um eine behagliche Wohnatmosphäre zu erhalten.
Dank unserer isländischen Freunde und vieler engagierter Helfer bezogen wir im Januar 2002 unser neues Feriendomizil in den Westfjorden, das sich innerhalb eines Jahres vom Haus auf der Abbruchliste in ein gemütliches Basislager für Wanderungen in den Westfjorden verwandelt hat. Zwischenzeitlich haben wir viele schöne Ferien dort verbracht und fühlen uns dort zu Hause. Und um auch anderen Familien einen Ferienhausaufenthalt in den Westfjorden zu ermöglichen beschlossen wir vor zwei Jahren es zur Vermietung freizugeben. Wie unsere Hausgäste sind auch wir immer wieder fasziniert von diesem einzigartigen Ort. Und dankbar für die glückliche Fügung im Islandsommer 2000.
© Birgit Abrecht
Anmerkung: Es gibt ab und zu von der Stadt Ísafjörður leerstehende Gebäude zu kaufen, die man sich als Ferienhaus einrichten kann. Wer sich dafür interessiert oder unser Ferienhaus mieten möchte kann sich gerne mit uns in Verbindung setzen: Familie Abrecht, info@abrecht-architektur.de.
Weitere Infos zum Ferienhaus unter http://www.abrecht-architektur.de
Den Bericht gibt es auch Bebildert im Kapitel "Unterkünfte". [Link...]
Am Ísafjarðardjúp angekommen
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