Mit Island musste ich mich das erste Mal im Jahr 2000 näher beschäftigen. In diesem Jahr machte meine Tochter ihr Abitur und hatte die für mich damals völlig exotische und abwegige Idee, nach der Schule ein Jahr nach Island zu gehen. Sie hatte für kurze Zeit eine Reitbeteiligung auf einem der im wilden Osten damals seltenen Islandpferde gehabt und wollte die Pferde in ihrem Ursprungsland kennenlernen, auf einer Farm arbeiten, etc. pp.
Ich war nicht begeistert. Ich hatte mir vorgestellt, sie in ihrem Auslandjahr zu besuchen- USA schwebte mir vor. Alle anderen ihrer Mitschüler gingen in die USA.
Sie ließ sich nicht abbringen, wälzte das isländische Telefonbuch, mailte Höfe an (damals war noch keiner im Internet vertreten) und hatte schließlich eine Anlaufstelle, am Lagarfljot. Ich brachte sie am 10. August 2000 nach Frankfurt, wo sie am späten Abend durch das Gate verschwand, um ihren Traum zu verwirklichen. Für mich fühlte es sich ungefähr so an, wie es sich für Mütter von Missionaren, die irgendwo in den Urwald gehen, anfühlen muss.
Verwandte ihrer Arbeitgeberin holten meine Tochter vom Flugplatz ab, sie übernachtete auch dort und flog am nächsten Tag nach Egilsstadir weiter. Dort blieb sie dann für vier Monate, zog dann weiter in den Eyjafjördur, erst auf eine Kuhfarm und einen weiteren Monat später auf einen anderen Hof. Ein Hof einer typisch isländischen Familie (meine, deine, unsere Kinder- insgesamt sieben, der jüngste damals drei Jahre alt), 50 Pferde, ungezählte Schafe, ein Hund, ein Haus mit winzigen Zimmerchen. Sie war ein Familienmitglied, wurde abgöttisch vom Jüngsten geliebt, ging auf jede Familienfeier, kurz, es war eine fröhliche, offenherzige Familie und meine Tochter war glücklich.
Dann kam das Frühjahr 2001 und wir fingen an, einen Besuch zu planen. Erstmal eher halbherzig, bis sie mich irgendwann fragte "Wollt Ihr etwa, dass meine Großeltern eher herkommen als Ihr?" (meine Eltern hatten bereits eine Reise gebucht).
Das ging natürlich gar nicht. Ich wanderte am nächsten Tag ins Reisebüro und buchte einen Flug. In der letzten Maiwoche sollte es losgehen, zwei Wochen wollten wir bleiben.
Mir tat es noch leid um meine kostbare Urlaubszeit, die ich praktisch am Nordpol verbringen sollte. Der Flug war teuer. Das Haus (das alte Farmhaus einer Bekannten der Familie) war teuer (2 Wochen 500 DM- ein unfassbar günstiger Preis, aber ich war solche Preise nicht gewöhnt), und überhaupt, ISLAND. Niemand, den ich kannte, ging dorthin.
Irgendwann war es so weit, wir fuhren nach Frankfurt, stiegen in den Icelandair- Flieger und los ging es. Der Flieger war nur ca. 1/3 gebucht, wir hatten sehr viel Platz. Es gab superleckeres Essen und dauernd kamen die Stewardessen mit Wasser rum, damals noch im Glaskrug. Später legten wir uns schlafen und als wir wieder aufwachten, da ging es los mit den Entdeckungen. Wir waren schon ziemlich im Norden, es war knapp vor Mitternacht- und hell! Das hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt.
Wir landeten gegen Mitternacht. Das erste, was mir richtig auffiel, war der Geschmack, der saubere Geruch der Luft. Auch heute noch atme ich als erstes nach der Landung ganz tief ein. Am nächsten Tag wollten wir nach Akureyri weiterfliegen. Weitere Erkenntnisse holten uns so ein bisschen auf den Boden der Tatsachen: Der Plan, auf dem Flughafen ein paar Stunden zu pennen, zerschlug sich direkt. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass der nachts geschlossen wird. Dass Inlandsflüge gar nicht dort starten, wusste ich auch nicht (der Gatte sowieso nicht- Reiseplanung war nicht sein Ding). Also fuhren wir notgedrungen mit dem Flybus nach Reykjavik. Auf der Fahrt starrte ich aus dem Fenster auf die endlosen Lavafelder und spürte, wie sie nach mir griff, die Insel. Wir strandeten als nächstes im BSI. Da ich im Bus mein Kosmetikköfferchen vergessen hatte (damals reiste Frau noch mit sowas), durften wir für eine Stunde ca. im BSI bleiben, bis der Bus wiederkam, mit meinem Köfferchen. Wir versuchten dann, im nebenan gelegenen Hotel unterzukommen, aber es gab kein Zimmer. Ob nur nicht für uns oder wirklich ausgebucht war, werde ich nie wissen. Wir ließen uns ein Taxi rufen und fuhren zum Flughafen. So im Nachhinein glaube ich, dass der Taxifahrer ein paar Extraschleifen eingelegt hat, denn es dauerte länger, als ich heute zu Fuß brauche
Dass der Flughafen auch geschlossen war, überraschte uns dann schon nicht mehr. Allerdings hätte ich in meiner Deutschigkeit auch nicht gedacht, dass er erst ca. 1/4 Stunde vor der Startzeit geöffnet würde- oder dass da einfach eine Frau mit einem Schlüssel von irgendwoher kam. Wie auch immer, nach dieser sehr kalten Mainacht konnte das Abenteuer endlich richtig losgehen. Wir hatten wunderbares Wetter und ich einen Fensterplatz. Ich konnte so viel aus der Luft sehen. Dann landeten wir und meine Tochter holte uns mit dem Auto ab, das ein anderer Farmer uns für unseren Aufenthalt lieh. Der Mercedes war ungefähr 20 Jahre alt, jedes Blechteil in einem anderen Blauton lackiert, der Tacho ging nicht ("wenn die Fliegen auf der Scheibe sterben, seid ihr zu schnell") und man sollte am besten eine eigene Tankstelle haben, aber er fuhr und war cool.
Immerhin war ich mit einem Baedecker im Gepäck nach Island gekommen, den ich fortan allabendlich wälzte und in den folgenden zwei Wochen fuhren wir im Norden die vielen Highlights an. Das Weiteste im Osten waren Ásbyrgi und das Tal der Jökulsá mit den großen Wasserfällen. Wir waren auf der Krafla, noch ohne Kraftwerk und Asphalt, dafür mit dampfenden Schwefellöchern direkt neben der Piste. Wir waren am Myvatn, am Godafoss, in Husavik, an der Küste entlang, im Torfgehöft, wir fuhren die 821/F821 so weit hinein, wie wir uns das getraut haben (das war immerhin noch durch die erste Furt). Die Ringstraße war ab Laugar noch nicht asphaltiert. Ich hatte ein Jahr zuvor ein bisschen reiten gelernt und ging mit meiner Tochter fast jeden Tag reiten. Durch den gerölligen Fluß, an ausgebrochenen Kuhherden vorbei, steile Berge runter und wieder rauf... dass ich mir das alles trauen würde, hätte ich vorher nicht für möglich gehalten. Der Eyjafjördur war ein riesengroßer Kindergarten, voll mit unzählichen Lämmern und jeden Tag auf den Wiesen ringsum waren neue Fohlen da.
Die letzten beiden Tage unseres Urlaubs wollten wir noch die großen Highlights im Süden anschauen. Wir mieteten einen Toyota Corolla und fuhren mit dem über die Kjölur in den Süden. Niemand hat damals sowas verboten

Wir übernachteten im Edda Hotel am Laugarvatn und schauten uns Geysire, Gullfoss, Thingvellir an. Am Strokkur standen wir um die Mittagszeit völlig allein, Anfang Juni, und warteten auf den nächsten Ausbruch. Am Gullfoss war außer uns noch ein weiteres Paar. Wir liefen bis ganz nach vorn an die Kante, dorthin, wo man heute nicht mehr hinkommt.
Am letzten Tag brachten wir unsere Tochter nach Reykjavik, von wo sie einen Tag später mit ihren Großeltern zur Rundreise aufbrechen würde. Wir fuhren hinaus zum Flughafen und flogen heim.
Es war entgegen meiner Erwartungen ein großartiger Urlaub, aber ich hatte noch keine Ahnung, dass ich fortan immer mit dieser unterschwelligen Sehnsucht im Herzen leben würde. Ich hatte keine Ahnung, dass es keinen Tag mehr geben würde, an dem ich nicht an Island denken würde.
DIe Tochter kam im Sommer zurück.
2003 im Juni flogen sie und ich nach Island. Wir mieteten einen Sparjeep (Suzuki Jimny) und kamen erstmals "richtig" ins Hochland (Landmannalaugar). Wir fuhren in die Westfjorde, die wir an nur einem Tag umrundeten (was auch unserer Ahnungslosigkeit geschuldet war). Wir besuchten die isländische Familie und gingen reiten. Wir hatten zwei wundervolle Wochen.
Die nächsten Jahre fehlte immer so ein bisschen das Geld (1999 hatten wir gebaut und so nach und nach gab es noch Dinge fertig zu stellen). 2007 fehlte das Geld eigentlich auch, aber die Sehnsucht war unglaublich und wir beschlossen, wenigstens für zehn Tage und mit dem kleinstmöglichen Mietwagen (Citroen C3- auch furttauglich

) zurückzukehren. Zu unserer Überraschung hatten die Isländer plötzlich alle riesige SUV's.
Inzwischen sind wir mindestens einmal, meist zweimal im Jahr in Island. Als ich vor ein paar Jahren auf der Seite des Ärztehauses von Hesteyri gelesen habe, dass sie jemanden für die Sommerbetreuung des Hauses suchen, setzte sich der Gedanke in meinem Kopf fest, sowas mal machen zu wollen. Das habe ich also noch so in der losen Zukunftsplanung. Allerdings ist Hesteyri seit "I remember you" raus aus meiner Planung, Ich glaube nicht, dass ich dort ganz allein mit den beiden Geistern in der Nachbarschaft wohnen will
